Dienstag, 5. März 2013

Placebos und Nocebos werden in ihrer Wirkung oft unterschätzt

Ärzte sollten für den Pacebo- und Noceboeffekt mehr Bewusstsein entwickeln, so Experte Dr. Kress.
Wenn eine Pille, die keinen Wirkstoff im eigentlichen Sinn enthält, doch eine Wirkung entfaltet, spricht man vom Placebo-Effekt. "Die oft verwendete deutsche Übersetzung Scheinmedikament wird dem Phänomen allerdings nicht gerecht", betonte Hans-Georg Kress,  Vorstand der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am AKH Wien beim 17. Internationalen Schmerzsymposium.

Aktuelle Forschungsergebnisse mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass die Placebo-Wirkung viel mehr umfasst als bloße Einbildung und nicht nur psychologisch zu erklären ist. Auch macht sie einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Wirksamkeit jedes Verums, also jedes "echten" Medikaments aus.

Untersuchungen bei Schmerzen zeigten, dass das Placebo nicht nur dafür sorgt, dass Schmerz nicht mehr wahrgenommen wird, sondern dass in der Peripherie erst gar kein Schmerzsignal entsteht. Hirnforscher kennen dieses Phänomen als "Top-Down-Hemmung", deren Mechanismen aber noch nicht restlos bekannt sind. "Sicher sind jedoch endogene Opioide und deren Rezeptoren maßgeblich an der Wirkung beteiligt", sagt Kress.

Nocebo - Entscheidend ist der Faktor Angst
All das gilt auch für das Gegenteil des Placebo, das Nocebo (lateinisch: "Ich werde schaden"). In Studien gelang es, bei gesunden Probanden die schmerzstillende Wirkung des starken Opioids Remifentanil vollkommen aufzuheben, indem man der Versuchsperson sagte, dass ihre Schmerzempfindlichkeit wegen der Injektion kurz verstärkt wäre. Der entscheidende Faktor dabei ist Angst.

Mittels Brain-Imaging wurden die beteiligten Gehirnregionen identifiziert und der Neurotransmitter Cholecystokinin als Vermittler zwischen Schmerz und Angst überführt. An neuen Medikamenten, die an dieser Verbindung ansetzen, wird bereits gearbeitet. Problematisch, weil angsterzeugend, können aus dieser Perspektive auch die gesetzlich vorgeschriebenen Beipacktexte mit langen Listen sehr seltener, aber schwerwiegender Nebenwirkungen sein.

"Die Sache wird noch dadurch kompliziert, dass offenbar Erfahrungen mit Medikamenten aus der Erinnerung unbewusst bei weiteren Therapieversuchen einen Placebo- oder Nocebo-Effekt ausüben können", so Kress. In der Praxis bedeutet das, dass ein Patient, der einmal auf ein Schmerz-Medikament nicht angesprochen hat, auch bei weiteren Medikamenten schlechtere Chancen auf einen Behandlungserfolg zeigen wird.

Hintergrund: So ergab eine Studie mit gesunden Probanden, dass jene, die schlechte Erfahrungen mit einer vermeintlich schmerzlindernden Salbe gemacht hatten, einen Tag später auch auf ein echtes und wirksames Schmerzpflaster in klinisch relevantem Maß schlechter ansprachen. Wenn Patienten oft wochenlang unter wirkungslosen Arzneitherapien leiden, bevor eine Umstellung erfolgt, hat dieses Erlebnis deutliche Auswirkungen auf die weitere Prognose. Dieser "Mitnahmeeffekt" müsse auch in der Praxis bedacht werden.

Wenn eine negative Erwartungshaltung den Noceboeffekt auslöst
"Eine wichtige Rolle spielt hier die induzierte negative Erwartung: Wenn ein Mittel einmal nicht gewirkt hat, ist auch die Wirkung des nächsten eingeschränkt", so Kress. Angesichts dieser Erkenntnis müsse man sich die Frage stellen, ob der Rat vieler medizinischen Empfehlungen, die Therapie immer mit dem schwächsten Medikament zu beginnen, auch tatsächlich immer sinnvoll ist. Das betrifft nicht zuletzt das WHO-Stufenschema der Schmerzbehandlung, das einen Einstieg in die Therapie mit relativ schwachen Analgetika vorsieht.

All das hat natürlich auch bedeutsame Auswirkungen auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Heute geht man davon aus, dass die kontextspezifische Erwartungshaltung mindestens 30 Prozent allen ärztlichen Erfolges ausmacht. Daher verwundert es nicht, dass Aussagen wie "Das wird jetzt wehtun" jede ärztliche Handlung mit einem deutlichen Nocebo-Effekt versehen. Kress: "Die gewählten Formulierungen, die Art der Aufklärung – das alles wirkt sich auf den Erfolg einer Intervention aus. Hier muss bei vielen Ärzten erst das entsprechende Bewusstsein dafür geschaffen werden".
Quelle: Zeitung, D E R  S T A N D A R D /  Gesundheit, Dr. Kress vom AKH Wien