Donnerstag, 17. März 2016

"Delir": So nennen Fachleute den Zustand starker Verwirrung nach einer Operation.

"Delir": So nennen Fachleute den Zustand starker Verwirrung nach einer Operation.
Nach dem Krankenhausaufenthalt, nicht mehr die/der selbe!
Die Patienten sind oft äußerst verwirrt, verlieren das Zeitgefühl und wissen oft nicht, wo sie sich befinden. Vielfach sind sie in einem Moment streitbar, dann wieder ruhig und verständnisvoll, dieser Wechsel tritt oft mehrmals am Tag (auch in der Nacht) auf. Mal haben die betroffenen Patienten Wahnvorstellungen, dann sind sie wieder ganz klar. Wobei der Klinikaufenthalt nicht nur den Delir-Patienten verwirrt und ängstigt, sondern sie bringen auch für das Spital viele Probleme mit sich. Hyperaktive Delir-Patienten bringt oft den ganzen Klinikbetrieb durcheinander. Die Betroffenen irren im Haus herum und verlassen nicht selten die Stationen, sie ziehen sich Kanülen heraus, entfernen Verbände und beschimpfen sowohl Pfleger als auch Krankenschwestern und Zimmergenossen.

Ein Delirauftreten lässt sich nicht mit Medikamenten oder Alzheimer-Pflaster behandeln. Eine geeignete Vorsorge hingegen kann ein Delir verhindern. Dafür jedoch brauchen Ärzte einen anderen Blick auf ihre Patienten und Kliniken neue Behandlungskonzepte. Denn die Zahl betagter Patienten steigt rasch.

Das Symptom des Delir ist schon lange bekannt, Delir kommt von Delirium = übersetzt "das aus-der-Spur-Sein"  nach schweren Verletzungen, nach Operationen, nach Narkosen oder schwereren, längeren Krankheiten tritt dieses Phänomen gehäuft auf. Früher nannte man den Zustand auch "Durchgangssyndrom". Weil er bei Menschen ohne Vorbelastung nur nach schweren Operationen mit Narkose auftritt und meist rasch wieder verschwindet, galt er lange als kaum besorgniserregend. Zumeist dauert das Durchgangssyndrom bei gesunden Menschen 1 bis höchstens 2 Tage, wobei oft alles was kurz nach dem Aufwachen nach der OP geschehen ist, vergessen wird bzw. auch vergessen bleibt. ... 

Je älter ein Mensch, umso gefährdeter ist er!
Ganz anders bei älteren Personen: Bei chronischen Kranken und Patienten mit kognitiven Defiziten wirkt sich die Bewusstseinsstörung völlig anders aus. Ihr Gehirn gerät während und nach der OP so sehr unter Angst und Stress, dass dessen Folgen lebenslang spürbar bleiben. Ein Delir-Zustand kann den Krankenhausaufenthalt daher auch zu einem traumatischen Ereignis werden lassen. Wenn mehrmalige Operationen nötig sind, kann sich das Problem, der damit verbundene und schon konditionierte Stress und die bewussten- wie unbewussten Ängste multiplizieren.

Heute weiß man: Ein Delir erhöht die Gefahr, bereits im Krankenhaus zu stürzen bzw. wieder zu stürzen. Statistiken zeigen: Jeder fünfte Betroffene leidet noch nach einem Jahr unter deutlichen kognitiven Einschränkungen - aber auch nicht selten unter erhöhten Bewegung- und Koordinations- Problemen. Und die Wahrscheinlichkeit, binnen eines Jahres nach einem Delir zu sterben, ist statistisch gesehen ähnlich groß wie nach einem Herzinfarkt.

Je älter, umso gefährlicher: Besonders gefährdet sind alte Menschen mit vielen Vorerkrankungen und geringen Kraftreserven. Die über 80-Jährigen sind die am schnellsten wachsende Patientengruppe in den Kliniken. Das liegt neben der Demografie am medizinischen Fortschritt. Operationen, die vor 20 Jahren für Hochbetagte selten waren, wie Eingriffe am Herzen, Krebsbehandlungen, Hüft- und Knie-OPs gehören heute zum Kinikalltag. Hüft-Operationen sind heute einer der Hauptgründe, warum ältere Patienten in die Klinik kommen. Stürze und Unfälle haben im Alter eben fatale Folgen.

Verwirrung, Demenz, Alzheimer können ausgelöst werden!
Weg aus der eigenen, beruhigend wirkenden Umgebung: Ihrer gewohnten Umgebung entrissen, erleben sie den Klinikaufenthalt als Ausnahmezustand: fremde Gesichter, Menschen / Pfleger / Krankenschwestern, die unverständliche Worte sagen. Sehr oft hören ältere Menschen schlecht, sind unaufmerksamer als junge Patienten. Fremde Hände, die sich um sie bemühen und die sie berühren. Schamgefühle treten auf. Hinzu kommen Schmerzen, Schlaflosigkeit ... das alles macht nicht nur großen Stress, sondern massive Angst. Aber auch die Ärzte und das Pflegepersonal tun sich bei älteren oft schlecht hörenden Personen besonders schwer, hört die ältere Person nur schlecht, ist es die Angst, der Klinikstress, die unbekannte Umgebung die die Person verwirrt erscheinen lässt oder ist es mehr. Fast immer bleibt nur wenig Zeit auf den Patienten auch mental einzugehen. Auch dadurch werden Delir-Patienten nicht immer erkannt. Auch kommt vielen Ärzten bis heute nicht in den Sinn, dass die Zeit im Krankenhaus diese Symptome verursachen kann.
Doch genau das ist aber sehr häufig der Fall. Denn das Klinikdelir kann wie ein Treibsatz wirken. Es hebt eine latente Demenz über eine kritische Schwelle und es kommt zum endgültigen Ausbruch.

Durch OP, Narkose und Klinik-Aufenthalt ausgelöste bzw. aktivierte Demenz
Menschen, denen man ihre beginnende Demenz- und/oder Alzheimerkrankheit noch einige Jahre lang vielleicht kaum angemerkt hätte, wirken plötzlich hochgradig senil. Sie sind und bleiben oft nach dem Klinikaufenthalt hochgradig verwirrt. Deshalb ist - wie wir heute wissen- die Wahrscheinlichkeit, nach einem Delir aus der Klinik direkt in ein Pflegeheim entlassen zu werden, fast dreimal so hoch wie unter normalen Umständen. Dieses Problem versucht man bis heute gegenüber den Verwandten so weit wie möglich zu verschweigen bzw. man streitet den Zusammenhang und die Fehler die von Seiten der Klinik und des betreuenden Personals inklusive der zuständigen Ärzte einfach ab.
Doch die Tatsache (die auch den Krankenkassen bekannt sind), dass viele ältere Patienten nach einer OP und Narkose verwirrt- oder dauerhaft dement sind, spricht für sich. Immer mehr Familien mit älteren Familienangehörigen kennen das Problem, mit dem man nach dem Klinikaufenthalt allein gelassen wird, Mutter, Vater, Opa, Oma kommen völlig verwandelt nach dem Spitalsaufenthalt, nach der Operation nach Hause, und der verwirrte Zustand, die Demenz bleibt bestehen. Dabei hatten die Ärzte stets vorhergesagt(!), die Verwirrung werde sich schon bald wieder legen, das sei bei alten Leuten eben so. Vom Delir sprachen sie aber in den meisten Fällen nie.

Hyperaktiver Delir
Auf die richtige, gute Hirnaktiktivität kommt es an!
Diese Form der Verwirrtheit ist besonders problematisch. Hyperaktive Patienten stören den Betrieb vehement, indem sie herumirren und die Station eventuell auch verlassen oder verlassen wollen und nicht selten ein unangenehmes, streitsüchtiges und beleidigendes Verhalten an den Tag legen. Das ist auf Störungen und Unteraktivierung vor allem der frontalen Hirnbereiche (Stirnhirn) zurück zu führen. Diese Hirnbereiche bilden bzw. beherbergen nicht nur unser ICH, hier liegen auch die Bereiche die für gutes vernünftiges Benehmen zuständig sind. Diese Hirnbereiche sind besonders sensibel und empfindlich. Stress- und Ängste setzen diesen Hirnbereichen schnell zu. Zunehmendes Alter, Stress, Ängste und noch zusätzlich eine Narkose können in Kombination das Frontalhirn somit leicht dauerhaft schädigen. Noch schlimmer ist es, wenn schon latent vorhandene Hirnschwächen und leichte Demenzerscheinungen vorliegen. Diese werden oft -da sie sich noch nicht auffällig zeigen- nicht erkannt, weder von der Familie, den Angehörigen noch von den behandelnden Ärzten. Nur eine Hirnpotenzial-Biofeedback-Messung (oder eine andere effektive Gehirnmessung) unter Anforderung könnte darüber eine sichere Auskunft geben. Nur so können vorhandene Unteraktivitäten im Frontalhirn und in anderen Hirnbereichen schon vorab sicher festgestellt werden. Auch ein richtiges - wirksames- Entspannungssystem, rechtzeitig erlernt und konditioniert ist ein wichtiges Tool das in späteren Jahren gerade in belastenden Situationen vorbeugend helfen kann. Viele ältere Menschen sind heute dauer-nervös und leiden unter dieser nervlichen Erregung.

Die noch weniger Auffälligen
Die hyperaktiven Patienten fallen naturgemäß schnell auf. Die Hypoaktiven dagegen, dämmern vor sich hin und und stören niemanden. Auch deshalb existieren nur grobe Schätzungen, was die Häufigkeit des Delirs bei älteren Patienten angeht. Sie schwanken je nach Untersuchung und Schweregrad zwischen 10 und 40 Prozent, es können aber auch weitaus mehr sein. Nur in einem sind sich die Delir-Experten einig: Das Phänomen wird massiv unterschätzt.

Moderne Klinikmediziner sind zumeist Hightech-Medizin-Spezialisten. 
Schon Tests helfen weiter!
Als Chirurgen, Organexperten wissen sie alles über kranke Drüsen, Nieren oder Herzen. Als Chirurgen kennen sie die neuesten Techniken, einen Tumor zu entfernen, ein Knie oder Hüftgelenk zu ersetzen, sie sind medizinische Feinmechaniker. Doch die meisten von ihnen haben dagegen nicht gelernt, welch verheerende Wirkung eine OP mit der Narkose auf das Gehirn, das Bewusstsein ihrer Patienten haben kann. Nur in wenigen Kliniken versucht man heute "schon" auf die immer häufiger auftretende Delir-Problematik zu reagieren. Älteren Patienten werden schon bei der Aufnahme einem Delir-Screening unterzogen. Neben einer gezielten Gedächtnisprobe (Tests) gehört dazu auch eine genaue Medikamenten Kontrolle. Denn bestimmte Medikamente, wie z.B. die sehr häufig verschriebene Antidepressiva, gelten als -bewusstseinsverändernd- delirfördernd. Sie schaden in diesem Falle mehr, als sie bringen.

Aber wirklich wird das Delir-Problem noch nicht verstanden. Doch dort wo das Delir-Screening und die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden (z.B. durch wechseln zu anderen Medikamenten) konnte die Delir-Rate um zwei Drittel(!) gesenkt werden, auf der Neurologie, wo die Vorschäden der Patienten zumeist weit größer sind, immerhin noch um 20 Prozent. Leider können bis zum heutigen Tag nur wenige Kliniken von sich behaupten, für die wachsende Zahl ihrer demenzkranken Patienten ein sinnvolles Konzept zu haben. Einige Kliniken und behandelnde Ärzte ignorieren das Delir-Problem sogar bewusst, sie glauben dass sie nur für die körperliche Behandlung zuständig sind und nicht für die geistige Gesundheit der Patienten.

Warum? Haupsächlich liegt es am fehlenden Interesse an den mentalen Begleiterscheinungen einer OP. Man behandelt Menschen in der Chirurgie mehr wie Maschinen ohne Geist und Seele, anderseits sind es die schnellen Abläufe in der Akut-Medizin und der Zeitdruck. Aber auch der enorme Kostendruck ist daran mitschuld. Man verlässt sich in vielen Fällen lieber auf sedierende Medikamente (stellt den Patienten so weit als möglich ruhig), das geht schneller und wird von den Krankenkassen problemlos abgedeckt. Viele, vor allem öffentliche Spitäler sind heute auch heillos überfordert. Nicht zuletzt durch die immer weiter einströmenden Flüchtlingswellen und Asylsucher. Auch diese benötigen dringende Hilfe, die Warteräume sind überfüllt, Unfallambulanzen gehen über von Wartenden. Die vielen neu ankommenden Menschen, die in ihren Ländern oft nur schlecht bis gar nicht medizinisch versorgt wurden, die Verletzungen die aus Streitigkeiten (zumeist untereinander) entstehen, oder durch den langen Anreiseweg entstanden sind, müssen versorgt werden. Es gibt aber für die Hunderttausenden Zuwanderer und Neuankömmlinge weder mehr Spitäler, mehr notwendige Krankenhausbetten, mehr Ärzte, Pfleger oder Krankenschwestern. Das bringt mit sich, dass man pro Patient nur noch weniger Zeit aufwenden kann. Und schon immer hat man jüngere Patienten den älteren Patienten im Medizinbereich vorgezogen (Ausnahme, Spezialkliniken für ältere Personen). Diese Probleme die mit dem immer geringer werdenden Zeitaufwand pro Patient verbunden sind, werden im Laufe der nächsten Zeit noch akuter werden, die Diagnose und Behandlung von älteren Menschen wird dadurch noch verstärkt. Auch müssen die Spitäler heute mehr denn je darauf achten, dass ein Spitalsaufenthalt so kurz wie möglich sein sollte, man benötigt die Betten so schnell es irgend geht für die wartenden Patienten. Daher wird sich auch aus diesen Gründen, eine flächendeckende Verbesserung der Versorgungslage für ältere Menschen nicht bessern, sondern eher verschlechtern.

Es geht auch anders
Doch nicht überall auf der Welt sieht es so aus wie in Deutschland oder Österreich. Zum Beispiel in England müssen Kliniken -verpflichtend- ALLE Risikopatienten einem Demenzscreening unterziehen. Ebenso sind die Spitäler in England verpflichtet, einen Plan für den Umgang mit Delir-Patienten zu entwickeln und auch entsprechende Maßnahmen rechtzeitig umzusetzen. (Wir dürfen nicht vergessen: England hat auch weniger unter dem Druck der bei uns durch die Flüchtlinge und Asyslucher im medizinische Bereich entstanden ist, zu leiden.)

Pflegeheim - oder weiter zu Hause?
Abschließend: Angesichts der steigenden Zahl an Demenzkranken und Demenzerscheinungen NACH einer OP muss man auch in Deutschland und Österreich -wenn es möglich ist- langsam umdenken (und das auch in teuren Privatkliniken in denen es auch nur in Ausnahmefällen ein vernünftiges, effektives Delir-Screening gibt) doch diese vorbeugenden Maßnahmen könnten bewirken, dass mehr Patienten wieder nach Hause statt ins Pflegeheim entlassen werden können – und so würden letztlich enorme Kosten für den dauerhaften Pflegeheimaufenthalt gespart werden. Natürlich solle es uns mehr um das Wohlergehen der Patienten und deren Familien gehen, als um die gesparten Kosten.
---

Tipp: Wir haben schon 2013 über das Problem berichtet: "Demenzrisiko steigt unter Vollnarkose - Vollnarkose schadet offenbar doch dem Gehirn"
Link: http://eggetsberger-info.blogspot.co.at/2013/06/demenzrisiko-steigt-unter-vollnarkose.html
---
Quellen: Div. News, Eggetsberger-Info, IPN-Forschung, Krankenkassen, aktuelle - statistische Veröffentlichungen, Interviews.
Bildquellen: Fotolia und Eggetsberger-Info