Mittwoch, 11. Oktober 2017

In uns ist mehr Neanderthaler Genmaterial als bisher gedacht

Der Neanderthaler in uns
Das Erbgut eines Neandertaler-Frau-Fundes aus Kroatien zeigt, dass der moderne Mensch noch mehr von dem ausgestorbenen Urmenschen in seiner DNA geerbt hat als bisher angenommen wurde. Darunter leider auch die Gene, die mit dem Cholesterinspiegel, Essstörungen und Schizophrenie zusammenhängen.

DNA - der Neanderthaler in uns!
Die analysierte Neandertaler-DNA stammt aus kleinen Knochensplittern, die man bereits 1980 entdeckt hatte. „Um gute Ergebnisse zu erhalten, muss genug DNA im Knochen vorhanden sein und das Material darf nicht kontaminiert sein“, erklärt der Forscher Kay Prüfer. Das war beim Material aus der Vindija-Höhle der Fall. Es war weder durch Bakterien noch durch Menschen kontaminiert worden. „Was auch daran liegen kann, dass man lange nicht wusste, dass es sich dabei um Neandertaler-Knochen handelt“, so der Forscher, der am Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig arbeitet.

Unsere Erbmasse kommt teilweise vom Neandertaler
In uns allen steckt immer noch ein wenig Neandertaler. An die zwei Prozent unseres Genoms geht auf unseren nächsten ausgestorbenen Verwandten zurück. Das wird nun durch das zweite in dieser Qualität entschlüsselte Neandertaler-Genom bestätigt und sogar weiter präzisiert. Menschen aus Europa und West-Asien tragen zwischen 1,8 und 2,4 Prozent Neandertaler-DNA in sich. Etwas mehr, 2,3 bis 2,6 Prozent Übereinstimmung, findet man bei Menschen aus Ostasien. ...


Die Forscher haben auch die spezifischen Genvarianten analysiert, die durch die Vermischung von modernen Mensch und Neandertaler in unser Erbgut gelangten. Darunter ist auch eine Variante des LDL-Cholesterol, das den Cholesterin Spiegel senkt. „Das schützt uns potenziell vor Herzkrankheiten“, so Kay Prüfer. An die 16 verschiedene Varianten konnten die Forscher bisher schon analysieren. Darunter auch Gene, die mit Essstörungen, rheumatischer Arthritis, Schizophrenie oder Vitamin D in Verbindung stehen.

Neandertaler lebten in kleinen Populationen
Es ist dies das zweite hochqualitative Neandertaler-Genom, das sequenziert wurde. Das erste stammt aus einer Höhle im Altai Gebirge in Süd-Sibirien, dem östlichsten Ort an dem Neandertaler lebten. „Wir denken, dass der Altai-Neandertaler ca. 120.000 Jahre alt ist. Die jetzt analysierte Vindija-Neandertalerin ist etwa 50.000 Jahre alt“, erklärt Kay Prüfer.

Für die Datierung des Fundes analysiert man die Mutationen in der DNA. Über jede Generation werden neue Mutationen angesammelt. „Stellt man die vorhanden Mutationen in Verhältnis zum modernen Menschen und zu den gemeinsamen Vorfahren, dann kann man das Alter des Individuums berechnen.“

Weniger Inzucht als gedacht
Die Eltern des Altai-Neandertalers waren eng miteinander verwandt. „Die Eltern müssen Halbgeschwister oder auf ähnlicher Ebene miteinander verwandt gewesen sein“, so Kay Prüfer. Das ist beim Vindija-Neandertaler nicht der Fall. Vergleicht man die beiden Genome direkt miteinander, dann ergeben sich dennoch nur wenige Unterschiede, obwohl die Individuen zu ganz unterschiedlichen Zeiten gelebt haben. „Wir konnten nur drei Unterschiede in 10.000 Basenpaaren finden“, berichtet der Forscher. Die Genome von Europäern weisen etwa sieben Unterschiede in 10.000 Paaren auf. Diese geringe genetische Diversität legt die Vermutung nahe, dass Neandertaler in relativ kleinen Gruppen von rund 3.000 Erwachsenen lebten.

Eine zweite soeben veröffentlichte Studie analysiert die Genome von Menschen aus dem Jungpaläolithikum. Die Forscher sequenzierten Proben von vier unterschiedlichen Individuen und konnten dabei keine Anzeichen von Inzucht feststellen, wie dies etwa beim Altai-Neandertaler der Fall war. Da die Individuen in kleinen Verbänden lebten, kann man davon ausgehen, dass man sich bewusst mit Individuen aus anderen Clans gepaart hat.

Quelle: ORF/Ö1-Wissenschaft
Bildquelle ©: Neanderthal Museum als George Clooney verkleidet.
Links
„A high-coverage Neandertal genome from Vindija Cave in Croatia“
„Ancient genomes show social and reproductive behavior of early Upper Paleolithic foragers“,