Im Jahr 2010 wurden rund 1000 Tonnen Antibiotika an Geflügel, Schweine und Rinder in deutschen Ställen verfüttert
Beim Verzehr solcher Tiere besteht zumindest für gesunde Menschen kein erhöhtes Risiko
Masthähnchen und Mastkälber enthalten nach dem jüngsten Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) deutlich mehr Bakterien, die unempfindlich auf Antibiotika reagieren. Bei E.coli-Bakterien, die den Stoff Verotoxin produzieren, stiegen die Nachweise bei Kälbern von 2009 zu 2010 von 51,1 auf 85,7 Prozent. Auch EHEC gehört zu dieser Bakteriengruppe. Bei den Masthähnchen nahmen die Resistenznachweise bei einem anderen E.coli-Stamm im gleichen Zeitraum von 43 auf 54 Prozent zu. Es wird befürchtet, dass Bakterien im menschlichen Körper nach dem Verzehr dieses Fleisches ähnliche Resistenzen entwickeln - und Medikamente bei Infektionskrankheiten schlechter wirken. ...
Seit 2006 dürfen Antibiotika EU-weit nicht mehr zur Förderung der Mastleistung eingesetzt werden. Dennoch wurden nach BUND-Schätzungen 2010 knapp 1000 Tonnen Antibiotika an Geflügel, Schweine und Rinder in deutschen Ställen verfüttert. Fünf Jahre zuvor waren es noch knapp 900 Tonnen. "Damit werden immer noch die Hälfte aller Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt", stellt der BUND fest - Zahlen, die das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bestätigt. Auch das BfR hält es für geboten, den Einsatz von Antibiotika in der Mast "kritisch zu hinterfragen". Jährlich sterben hierzulande mehr als 15 000 Menschen an multiresistenten Keimen. Inzwischen werden sogar solche Antibiotika machtlos, die als eiserne Reserve für Ausnahmefälle gedacht waren. Vor allem MRSA-Keime treten immer häufiger in Krankenhäusern auf.
"ESBL bildende Bakterien haben solche Eigenschaften entwickelt", erläutert Merle, "sie nisten sich in den Darm ein und bilden dort Enzyme, die Antibiotika, wie Penicilline und Cephalsporine der dritten und vierten Generation wirkungslos machen. Diese Fähigkeit können die Keime auch an andere Erreger weitergeben, die dann im Falle einer Infektion schwerer zu behandeln sind. Das macht sie zu einer ernst zu nehmenden Gefahrenquelle." Auch das BfR geht davon aus, "dass ein Gesundheitsrisiko für den Menschen durch ESBL bildende Bakterien aus der Tierhaltung besteht".
Den Verbrauchern empfiehlt das BfR, Fleisch nur gut durcherhitzt zu verzehren und die Regeln einer guten Küchenhygiene zu beachten. "Wichtig ist auch, das Fleisch vor der Zubereitung gut kalt abzuspülen und es immer auf einer sauberen Unterlage zu schneiden", rät Merle. Eine unmittelbare Gefahr sieht die Expertin aber nicht, zumindest nicht bei gesunden Menschen. Anders sehe das bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem aus oder bei Patienten in einer Intensivbehandlung. "In solchen Fällen besteht ein Risiko, dass Bakterien über Lebensmittel oder Wunden in den Körper gelangen und dort gefährliche Wundinfektionen, Blutvergiftungen oder Lungenentzündung auslösen."
Weil das Problem der Resistenzbildung in Tiermastbetrieben trotz gesetzlicher Vorschriften noch ungelöst ist, hat die EU ihre Mitgliedsstaaten zu mehr Transparenz beim Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung aufgerufen und fordert eine deutliche Verringerung des Verbrauchs. Dem sind bereits einige Staaten, darunter die Niederlande und Dänemark, mit Programmen zu einer umfassenderen Erfassung und einer stärkeren Kontrolle von Mastbetrieben und Tierärzten nachgekommen. Ziel ist die Halbierung der verbrauchten Mengen. Auch die Bundesregierung hat veranlasst, dass die Daten zu Häufigkeit und Mengen der Antibiotika-Auslieferungen in der Veterinärmedizin, nach Wirkstoffen, Tierarten und Regionen erfasst werden müssen. Der Erlass verpflichtet die Arzneimittelhersteller, alle Lieferungen von Antibiotika an Tierärzte dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation zu melden. Eine Ausnahme gibt es: Bei Lieferungen an Tierärzte, die Verträge mit Geflügelzuchtbetrieben haben, wird der Lieferort nicht vollständig erfasst.
Ob die Politik nachbessert und eine Transparenz der in einem Betrieb eingesetzten Antibiotikamengen ermöglicht, bleibt fraglich. Die Bitten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, Zugriff auf solche Daten zu erhalten, hat die Bundesregierung bereits abgelehnt.