Mittwoch, 22. Februar 2012

Tödliche multiresistente Keime aus dem Stall bedrohen uns

Die durch Antibiotika in der Tiermast geförderten multiresistenten Keime sind ein Problem, das politisch einfach zu lösen wäre

Im Jahr 2010 wurden rund 1000 Tonnen Antibiotika an Geflügel, Schweine und Rinder in deutschen Ställen verfüttert

Beim Verzehr solcher Tiere besteht zumindest für gesunde Menschen kein erhöhtes Risiko

Masthähnchen und Mastkälber enthalten nach dem jüngsten Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) deutlich mehr Bakterien, die unempfindlich auf Antibiotika reagieren. Bei E.coli-Bakterien, die den Stoff Verotoxin produzieren, stiegen die Nachweise bei Kälbern von 2009 zu 2010 von 51,1 auf 85,7 Prozent. Auch EHEC gehört zu dieser Bakteriengruppe. Bei den Masthähnchen nahmen die Resistenznachweise bei einem anderen E.coli-Stamm im gleichen Zeitraum von 43 auf 54 Prozent zu. Es wird befürchtet, dass Bakterien im menschlichen Körper nach dem Verzehr dieses Fleisches ähnliche Resistenzen entwickeln - und Medikamente bei Infektionskrankheiten schlechter wirken.  ...


Meldungen über Keime im Fleisch, gegen die Antibiotika machtlos sind, verunsichern daher die Verbraucher. In einer Stichprobe in deutschen Supermärkten durch den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) wurden bei elf von 20 untersuchten Hähnchenprodukten antibiotikaresistente Erreger entdeckt. Ende 2011 hatte bereits eine Untersuchung im Auftrag des Verbraucherministeriums in Nordrhein-Westfalen ergeben, dass gut 96 Prozent der Hähnchenmastbestände mit Antibiotika behandelt werden. Nur knapp vier Prozent der Hähnchen waren unbehandelt. Die Behörden hatten mehr als 180 Betriebe überprüft. Zu ähnlichen Ergebnissen war auch eine Untersuchung des Landes Niedersachsen gekommen. Dort setzen 85 Prozent der Geflügelmäster Antibiotika ein.

Das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) geht davon aus, dass nicht nur Hähnchen, Hühner und Puten, sondern auch Schweine, Mastkälber und Rinder bis 5,9 Mal im Jahr mit Antibiotika behandelt werden. In einer bundesweiten Untersuchung des Instituts aus dem Jahr 2009 an 629 Proben Hähnchenfleisch hatten sich gut 22 Prozent als "MRSA-verdächtig" herausgestellt. Das Kürzel steht für methicillinresistente Staphylococcus aureus, ein Wundinfektionskeim, der gegen eine bestimmte Gruppe von Antibiotika unempfindlich ist. Bei rund sechs Prozent der Proben wurden resistente Formen des Darmkeims Escherichia coli (ESBL) nachgewiesen. Die Studien sprechen von "alarmierenden Ergebnissen" und ziehen den Schluss, dass Mäster trotz des Verbots Antibiotika in großem Stil auch bei gesunden Tieren einsetzen. Bundeslandwirtschafts- und Verbraucherministerin Ilse Aigner will zu härteren Mitteln greifen und das einschlägige Gesetz verschärfen. Geplant ist unter anderem, die Tierärzte zu verpflichten, sich strikt an die Vorschriften der Antibiotikaverordnung zu halten. Zudem soll der Einsatz von Antibiotika vor dem Schlachttermin der Tiere präziser und länger dokumentiert und damit für Behörden besser nachvollziehbar werden.

Seit 2006 dürfen Antibiotika EU-weit nicht mehr zur Förderung der Mastleistung eingesetzt werden. Dennoch wurden nach BUND-Schätzungen 2010 knapp 1000 Tonnen Antibiotika an Geflügel, Schweine und Rinder in deutschen Ställen verfüttert. Fünf Jahre zuvor waren es noch knapp 900 Tonnen. "Damit werden immer noch die Hälfte aller Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt", stellt der BUND fest - Zahlen, die das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bestätigt. Auch das BfR hält es für geboten, den Einsatz von Antibiotika in der Mast "kritisch zu hinterfragen". Jährlich sterben hierzulande mehr als 15 000 Menschen an multiresistenten Keimen. Inzwischen werden sogar solche Antibiotika machtlos, die als eiserne Reserve für Ausnahmefälle gedacht waren. Vor allem MRSA-Keime treten immer häufiger in Krankenhäusern auf.

"Eine Antibiotikaresistenz kann durch den Verzehr von tierischen Lebensmitteln auch auf Keime im menschlichen Körper wie die Darmflora übertragen werden", sagt Roswitha Merle von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und dem WHO Centre Veterinary Public Health. Dabei gibt es zwei Mechanismen. "Zum einen können Rückstände von Antibiotika vorkommen, wenn das Tier geschlachtet wird. Das ist das kleinere Problem, da es regelmäßige Lebensmittelkontrollen gibt und Überschreitungen von zulässigen Grenzwerten vergleichsweise selten sind. Zum anderen können sich im Tier resistente Keime heranbilden, die mit dem Fleisch auf den Teller des Verbrauches gelangen. Auf resistente Erreger wird Fleisch jedoch in der Regel nicht untersucht. Die konkrete Resistenzlage kennen wir nicht genau genug", sagt die Expertin. In einem Forschungsprojekt des Bundes geht sie zusammen mit weiteren Partnern den Resistenz- und Übertragungsmechanismen auf den Grund. Ziel ist es, eine Strategie gegen die wachsende Bedrohung durch gefährliche Keime zu entwickeln.
Im Visier haben die Forscher insbesondere die ESBL produzierenden Darmkeime, die sich vor allem in großen Mastbeständen ausbreiten. Dort ist die Wahrscheinlichkeit für einen Austausch von Genen zwischen den Mikroben besonders hoch. Stellen sich die zunächst zufällig entstandenen genetischen Veränderungen als vorteilhaft für das Überleben der Keime heraus, können sich solche Faktoren in Windeseile verbreiten. Dabei nutzt den Bakterien nicht nur ihre explosive Vermehrung durch ständige Zellteilungen. Wird der Überlebensdruck besonders stark, etwa weil Antibiotika eingesetzt werden, wird ein als "horizontaler Gentransfer" bekannter Mechanismus genutzt. Dabei bilden die Bakterien Auswüchse, über die sie Chromosomen mit neuartigen genetischen Eigenschaften wie mit einer genetischen Rohrpost an ihren Nachbarn weitergeben. Darunter sind besonders häufig Faktoren, die sie vor dem Angriff von Antibiotika schützen oder diese abbauen können. Dieser Mechanismus wirkt im Mikrobenreich über Artgrenzen hinweg.

"ESBL bildende Bakterien haben solche Eigenschaften entwickelt", erläutert Merle, "sie nisten sich in den Darm ein und bilden dort Enzyme, die Antibiotika, wie Penicilline und Cephalsporine der dritten und vierten Generation wirkungslos machen. Diese Fähigkeit können die Keime auch an andere Erreger weitergeben, die dann im Falle einer Infektion schwerer zu behandeln sind. Das macht sie zu einer ernst zu nehmenden Gefahrenquelle." Auch das BfR geht davon aus, "dass ein Gesundheitsrisiko für den Menschen durch ESBL bildende Bakterien aus der Tierhaltung besteht".

Den Verbrauchern empfiehlt das BfR, Fleisch nur gut durcherhitzt zu verzehren und die Regeln einer guten Küchenhygiene zu beachten. "Wichtig ist auch, das Fleisch vor der Zubereitung gut kalt abzuspülen und es immer auf einer sauberen Unterlage zu schneiden", rät Merle. Eine unmittelbare Gefahr sieht die Expertin aber nicht, zumindest nicht bei gesunden Menschen. Anders sehe das bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem aus oder bei Patienten in einer Intensivbehandlung. "In solchen Fällen besteht ein Risiko, dass Bakterien über Lebensmittel oder Wunden in den Körper gelangen und dort gefährliche Wundinfektionen, Blutvergiftungen oder Lungenentzündung auslösen."

Weil das Problem der Resistenzbildung in Tiermastbetrieben trotz gesetzlicher Vorschriften noch ungelöst ist, hat die EU ihre Mitgliedsstaaten zu mehr Transparenz beim Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung aufgerufen und fordert eine deutliche Verringerung des Verbrauchs. Dem sind bereits einige Staaten, darunter die Niederlande und Dänemark, mit Programmen zu einer umfassenderen Erfassung und einer stärkeren Kontrolle von Mastbetrieben und Tierärzten nachgekommen. Ziel ist die Halbierung der verbrauchten Mengen. Auch die Bundesregierung hat veranlasst, dass die Daten zu Häufigkeit und Mengen der Antibiotika-Auslieferungen in der Veterinärmedizin, nach Wirkstoffen, Tierarten und Regionen erfasst werden müssen. Der Erlass verpflichtet die Arzneimittelhersteller, alle Lieferungen von Antibiotika an Tierärzte dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation zu melden. Eine Ausnahme gibt es: Bei Lieferungen an Tierärzte, die Verträge mit Geflügelzuchtbetrieben haben, wird der Lieferort nicht vollständig erfasst.

Ob die Politik nachbessert und eine Transparenz der in einem Betrieb eingesetzten Antibiotikamengen ermöglicht, bleibt fraglich. Die Bitten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, Zugriff auf solche Daten zu erhalten, hat die Bundesregierung bereits abgelehnt.