Sex-Geheimnisse, Doppelleben |
Das verdeckte Geheimnis soll einen oft unschönen kleinen
oder großen Makel im eigenen Leben ausradieren – unsichtbar machen und
"ungeschehen".
"Wenn wir unsere Geheimnisse kontrollieren können und
sicherstellen, dass sie nur das tun, was wir von ihnen wollen, dann kann das
Leben mit ihnen tatsächlich einfacher werden", schreibt die Psychiaterin
Gail Saltz.
"Aber wenn unsere Geheimnisse aus der Bahn laufen und
anfangen, uns zu kontrollieren, dann wird aus dem normalen Leben irgendwann ein
geheimes zweites Leben."
Die Professorin an der Cornell School of Medicine in New
York hat das Buch "Anatomie eines geheimen Lebens: die Psychologie, eine
Lüge zu leben" veröffentlicht. Ihr zufolge sind Geheimnisse Teil eines
jeden Lebens. Das kann helfen, widersprüchliche Aspekte der Persönlichkeit
nicht ganz verleugnen zu müssen. Häufig drehen sich Geheimnisse um etwas, das
gesellschaftlich nicht toleriert werden würde. "Menschen haben viele Geheimnisse
– vor sich selbst und vor anderen", sagt Saltz. "Und sie zwingen uns
dazu, vorsichtig zu sein."
Größere Geheimnisse entwickeln eine eigene Dynamik.
Diese Vorsicht ist es nach Ansicht von Dan Wegner von der
Harvard University auch, die ein Geheimnis oft zu einem gefährlichen Sog macht,
aus dem es später kein Entkommen mehr gibt. Der Sozialpsychologe glaubt zwar,
dass Geheimnisse wichtig dafür sind, eine eigene Individualität zu entwickeln
und ein Gefühl dafür, selbst kontrollieren zu können, was man von sich
preisgibt und was nicht. Allerdings, so sagt Wegner, seien Geheimnisse auch
gleichzeitig immer problematisch. Denn sie suggerieren, dass ein Teil der
eigenen Person sozial unerwünscht ist. Je nachdem, wie unangenehm die Lüftung
des schönen Scheins wäre, wird dann viel Zeit und Mühe investiert, um das
Geheimnis zu schützen. Und je mehr es zu verlieren gibt, desto größer ist der
Wert des Geheimnisses. Dann sind ständige Kreativität und Organisationstalent
gefragt, um den Überblick zu behalten, darüber, wem man wann welche Version der
Wahrheit aufgetischt hat.
Es ist sehr anstrengend, Gedanken an das geheime Leben im
Alltag weitgehend zu unterdrücken, es aber trotzdem ständig präsent im Kopf zu
haben – und man zahlt einen oft hohen Preis dafür. In einer seiner Studien fand
Dan Wegner den sogenannten "Thought rebound"-Effekt. Zwar kann man
demnach eine Zeit lang Gedanken und Gefühle an ein Geheimnis unterdrücken, doch
sobald die angespannte Situation überstanden ist, kommt alles mit noch größerer
Wucht zurück. Das kann schnell zu einem Kreislauf aus angestrengter
Unterdrückung des Geheimnisses und immer unwillkürlicherem Auftauchen der
zugehörenden Gedanken führen.
Alles dreht sich um die Aufrechterhaltung der Scheinwelt.
Bald, so sagt Wegner, nimmt dann das Geheimnis einen so
zentralen Platz im Kopf ein, dass sich alles nur noch um die Aufrechterhaltung
der Scheinwelt dreht. Eine Lüge kommt zur nächsten, und mit zunehmender Dauer
fällt es immer schwerer, das zweite Leben vor den anderen zu verbergen. "Geheimnisse
zu verstecken kann so viel Zeit, Wachsamkeit und Aufmerksamkeit fordern (was
immer mit unterschwelliger Angst und Stress verbunden ist), dass sie beginnen,
das ganze Leben zu dominieren, oder zum eigentlichen Leben der Person
werden", sagt auch Psychiaterin Gail Saltz.
Doch es ist nicht nur anstrengend, sondern auch nicht
ungefährlich, so unter Hochspannung zu stehen, wie James Pennebaker von der
University of Texas zeigen konnte. Er fand bei Probanden, die willentlich
Gedanken an ein Geheimnis unterdrückten, eine höhere physiologische Aktivierung
als bei Kontrollpersonen – ein Stressindikator, der dem Wissenschaftler zufolge
auf Dauer auch gesundheitliche Konsequenzen haben kann.
Die meisten Geheimnisse drehen sich Wegner zufolge übrigens
um Sex: Ehebruch, uneheliche Kinder, geheime Liebschaften, ungewöhnliche
Sexpraktiken. Auch nach der Einschätzung von Saltz rangieren Themen rund um Sex
ganz oben auf der Liste der Doppelleben.
Menschen sind von Scham und Schuld getrieben.
Doch auch andere Themen finden sich dort häufig,
Alkohol-, Medikamente-, oder Drogenabhängigkeit etwa oder
unkontrollierbare kriminelle Neigungen. Oft sind der Psychiaterin zufolge
Scham- und Schuldgefühle dafür verantwortlich, dass sich jemand ab einem
bestimmten Punkt entscheidet, ein geheimes Leben zu führen. Egal, woher es
kommt – wenn es erst einmal da ist, das geheime Leben, wird man es nur schwer
wieder los. Oft kommt zur inneren Anspannung die Angst vor den Konsequenzen,
Sorge, wie sehr es nahestehende Menschen verletzen würde oder den Arbeitgeber
schockieren, alles über das Lügengebäude zu erfahren.
Welches sind nun genau die körperlichen und mentalen
Probleme, die durch ein Doppelleben ausgelöst werden.
- Die Grundmuskelspannung ist dauerhaft erhöht (dadurch kommt es zu schlechterer Regeneration auch im Schlaf).
- Der Hautleitwert ist dauerhaft erhöht (Hinweis auf eine vorhandene Stressreaktion).
- Durch schubweise Ausschütten und dauerhaft erhöhte Produktion von Stresshormonen wird das Immunsystem geschädigt, es kommt immer häufiger zu entzündlichen Prozessen.
- Der Blutdruck ist dauerhaft erhöht (= Belastung des Herzkreislaufsystems), oft kommt es darüber hinaus zu hohen Spitzenwerten, vor allem dann, wenn man Angst hat entdeckt zu werden.
- In weiterer Folge treten Konzentrationsprobleme auf (man arbeitet im Gehirn ja zweigleisig) und Burnout Zustände können auf längere Zeit hin entstehen.
- Die Aktivität der Amygdala (Angst-Stresssystem des Gehirns) ist dauerhaft erhöht, daher kommt es öfter zu Überreaktionen (aggressives Verhalten) und zu inneren Ängsten - entdeckt zu werden.
Wirkung auf den Blutdruck
Eine kleine gute Nachricht für Geheimniskrämer gibt es aber
dennoch. Pennebakers Studie konnte nämlich auch zeigen, dass der Blutdruck
derer, die ein lange gehütetes Geheimnis preisgeben, sich infolgedessen
deutlich verbessern kann.
Doch auch wenn der Körper sich recht schnell von der Beichte
über ein kompliziertes Doppelleben erholen kann – für das soziale Umfeld und
die eigene Integrität mag das um einiges schwerer sein.
Quellen: Gail Saltz, Cornell School of Medicine, New York;
Dan Wegner, Harvard University;
Dan Wegner, Harvard University;
und IPN-Forschung, Abteilung Biofeedback und biomedizinische Messungen.