Freitag, 1. Juni 2012

Doppelleben macht krank, Seitensprünge haben ihren Preis.

Menschen, die ein Doppelleben führen, sind ständig unter Spannung. Ihnen gelingt eine äußerst schwierige Gratwanderung: Sie vereinen eine gut funktionierende Fassade mit einem zweiten Leben, das wie ein herausgefallenes Puzzleteil nicht so recht zum Rest passen will.

Sex-Geheimnisse, Doppelleben
Das verdeckte Geheimnis soll einen oft unschönen kleinen oder großen Makel im eigenen Leben ausradieren – unsichtbar machen und "ungeschehen".

"Wenn wir unsere Geheimnisse kontrollieren können und sicherstellen, dass sie nur das tun, was wir von ihnen wollen, dann kann das Leben mit ihnen tatsächlich einfacher werden", schreibt die Psychiaterin Gail Saltz.
"Aber wenn unsere Geheimnisse aus der Bahn laufen und anfangen, uns zu kontrollieren, dann wird aus dem normalen Leben irgendwann ein geheimes zweites Leben."

Die Professorin an der Cornell School of Medicine in New York hat das Buch "Anatomie eines geheimen Lebens: die Psychologie, eine Lüge zu leben" veröffentlicht. Ihr zufolge sind Geheimnisse Teil eines jeden Lebens. Das kann helfen, widersprüchliche Aspekte der Persönlichkeit nicht ganz verleugnen zu müssen. Häufig drehen sich Geheimnisse um etwas, das gesellschaftlich nicht toleriert werden würde. "Menschen haben viele Geheimnisse – vor sich selbst und vor anderen", sagt Saltz. "Und sie zwingen uns dazu, vorsichtig zu sein."

Größere Geheimnisse entwickeln eine eigene Dynamik.
Diese Vorsicht ist es nach Ansicht von Dan Wegner von der Harvard University auch, die ein Geheimnis oft zu einem gefährlichen Sog macht, aus dem es später kein Entkommen mehr gibt. Der Sozialpsychologe glaubt zwar, dass Geheimnisse wichtig dafür sind, eine eigene Individualität zu entwickeln und ein Gefühl dafür, selbst kontrollieren zu können, was man von sich preisgibt und was nicht. Allerdings, so sagt Wegner, seien Geheimnisse auch gleichzeitig immer problematisch. Denn sie suggerieren, dass ein Teil der eigenen Person sozial unerwünscht ist. Je nachdem, wie unangenehm die Lüftung des schönen Scheins wäre, wird dann viel Zeit und Mühe investiert, um das Geheimnis zu schützen. Und je mehr es zu verlieren gibt, desto größer ist der Wert des Geheimnisses. Dann sind ständige Kreativität und Organisationstalent gefragt, um den Überblick zu behalten, darüber, wem man wann welche Version der Wahrheit aufgetischt hat.

Es ist sehr anstrengend, Gedanken an das geheime Leben im Alltag weitgehend zu unterdrücken, es aber trotzdem ständig präsent im Kopf zu haben – und man zahlt einen oft hohen Preis dafür. In einer seiner Studien fand Dan Wegner den sogenannten "Thought rebound"-Effekt. Zwar kann man demnach eine Zeit lang Gedanken und Gefühle an ein Geheimnis unterdrücken, doch sobald die angespannte Situation überstanden ist, kommt alles mit noch größerer Wucht zurück. Das kann schnell zu einem Kreislauf aus angestrengter Unterdrückung des Geheimnisses und immer unwillkürlicherem Auftauchen der zugehörenden Gedanken führen.

Alles dreht sich um die Aufrechterhaltung der Scheinwelt.
Bald, so sagt Wegner, nimmt dann das Geheimnis einen so zentralen Platz im Kopf ein, dass sich alles nur noch um die Aufrechterhaltung der Scheinwelt dreht. Eine Lüge kommt zur nächsten, und mit zunehmender Dauer fällt es immer schwerer, das zweite Leben vor den anderen zu verbergen. "Geheimnisse zu verstecken kann so viel Zeit, Wachsamkeit und Aufmerksamkeit fordern (was immer mit unterschwelliger Angst und Stress verbunden ist), dass sie beginnen, das ganze Leben zu dominieren, oder zum eigentlichen Leben der Person werden", sagt auch Psychiaterin Gail Saltz.

Doch es ist nicht nur anstrengend, sondern auch nicht ungefährlich, so unter Hochspannung zu stehen, wie James Pennebaker von der University of Texas zeigen konnte. Er fand bei Probanden, die willentlich Gedanken an ein Geheimnis unterdrückten, eine höhere physiologische Aktivierung als bei Kontrollpersonen – ein Stressindikator, der dem Wissenschaftler zufolge auf Dauer auch gesundheitliche Konsequenzen haben kann.

SEX - Geheimnisse 
Die meisten Geheimnisse drehen sich Wegner zufolge übrigens um Sex: Ehebruch, uneheliche Kinder, geheime Liebschaften, ungewöhnliche Sexpraktiken. Auch nach der Einschätzung von Saltz rangieren Themen rund um Sex ganz oben auf der Liste der Doppelleben.

Menschen sind von Scham und Schuld getrieben.
Doch auch andere Themen finden sich dort häufig, Alkohol-,  Medikamente-,  oder Drogenabhängigkeit etwa oder unkontrollierbare kriminelle Neigungen. Oft sind der Psychiaterin zufolge Scham- und Schuldgefühle dafür verantwortlich, dass sich jemand ab einem bestimmten Punkt entscheidet, ein geheimes Leben zu führen. Egal, woher es kommt – wenn es erst einmal da ist, das geheime Leben, wird man es nur schwer wieder los. Oft kommt zur inneren Anspannung die Angst vor den Konsequenzen, Sorge, wie sehr es nahestehende Menschen verletzen würde oder den Arbeitgeber schockieren, alles über das Lügengebäude zu erfahren.

Welches sind nun genau die körperlichen und mentalen Probleme, die durch ein Doppelleben ausgelöst werden.
  1. Die Grundmuskelspannung ist dauerhaft erhöht (dadurch kommt es zu schlechterer Regeneration auch im Schlaf).
  2. Der Hautleitwert ist dauerhaft erhöht (Hinweis auf eine vorhandene Stressreaktion).
  3. Durch schubweise Ausschütten und dauerhaft erhöhte Produktion von Stresshormonen wird das Immunsystem geschädigt, es kommt immer häufiger zu entzündlichen Prozessen.
  4. Der Blutdruck ist dauerhaft erhöht (= Belastung des Herzkreislaufsystems), oft kommt es darüber hinaus zu hohen Spitzenwerten, vor allem dann, wenn man Angst hat entdeckt zu werden.
  5. In weiterer Folge treten Konzentrationsprobleme auf (man arbeitet im Gehirn ja zweigleisig) und Burnout Zustände können auf längere Zeit hin entstehen.
  6. Die Aktivität der Amygdala (Angst-Stresssystem des Gehirns) ist dauerhaft erhöht, daher kommt es öfter zu Überreaktionen (aggressives Verhalten) und zu inneren Ängsten - entdeckt zu werden.

Wirkung auf den Blutdruck
Eine kleine gute Nachricht für Geheimniskrämer gibt es aber dennoch. Pennebakers Studie konnte nämlich auch zeigen, dass der Blutdruck derer, die ein lange gehütetes Geheimnis preisgeben, sich infolgedessen deutlich verbessern kann.
Doch auch wenn der Körper sich recht schnell von der Beichte über ein kompliziertes Doppelleben erholen kann – für das soziale Umfeld und die eigene Integrität mag das um einiges schwerer sein.
Quellen: Gail Saltz, Cornell School of Medicine, New York;
Dan Wegner, Harvard University;
und IPN-Forschung, Abteilung Biofeedback und biomedizinische Messungen.