Eine neue Disziplin, die "Epigenetik", räumt mit alten Vorstellungen (die uns jahrzehntelang geprägt hat) auf: Gene sind nicht starr, sondern ein Leben lang formbar.
Wir selbst können sie durch den Lebensstil, wie etwa die Ernährung, an- oder ausschalten. Genetisch beeinflusste Krankheiten lassen sich so vorbeugen.
Sogar über das eigene Leben hinaus, bei Kindern und Kindeskindern. Eine Extraportion Vitamin B12, ein bisschen Folsäure, eine Prise Cholin - allesamt Stoffe, die sich in vielen in Apotheken erhältlichen Nahrungsergänzungsmitteln finden. Randy Jirtle von der Duke University im amerikanischen Durham und sein Mitarbeiter Robert Waterland setzten die aufgepeppte Diät dicken, gelben Mäusen vor, die in der Wissenschaft unter dem Namen Agouti-Mäuse laufen. Das Agouti-Gen in ihrem Erbgut ist es, das den Tieren ein gelbes Fell verleiht und sie gefräßig macht. Die Weibchen bekamen das Futter zwei Wochen vor der Paarung und während der Schwangerschaft. Wenn Agouti-Mäuse Nachwuchs bekommen, wird dieser normalerweise ebenso gelb, ebenso fett und ebenso krankheitsanfällig, wie es die Eltern sind. Die Mehrzahl der Nagerkinder in Jirtles Experiment schlug jedoch aus der Art: Sie waren überwiegend schlank und braun. Außerdem fehlte den Sprösslingen die Veranlagung für Krebs und Diabetes. Durch einen subtilen Prozess war das Agouti-Gen abgeschaltet worden. Und das, ohne einen einzigen "Buchstaben" im Erbgut der Nager umzuschreiben.
Schalter, die Gene an- und ausknipsen können.
Heute wird immer klarer, dass das Epigenom für die Entwicklung eines gesunden Organismus ebenso bzw. noch wichtiger ist wie die DNA (die Erbmasse) selbst. Die größte Überraschung bei der epigenetischen Forschung aber ist: Epigenetische Signale werden auch von den Eltern an die Kinder weitergegeben (also Vererbt). Die neuen Entdeckungen erschüttern das bisherige (falsche) Wissen über Genetik und gängige Vorstellungen von Identität. Stellen also infrage, was gemeinhin angenommen wird: dass die DNS unser Aussehen, unsere Persönlichkeit und unsere Krankheitsrisiken bestimmt. Die These "Die Gene sind unser Schicksal" ist bei vielen zur Überzeugung geworden. Solche eindimensionalen Vorstellungen aber sind nun obsolet. Denn selbst wenn Menschen exakt über die gleichen Gene verfügen, unterscheiden sie sich häufig in den Mustern der Genaktivität und damit auch in ihren Eigenschaften. Der epigenetische Code, der unsere DNA kontrolliert, erweist sich als der Mechanismus, mit dem wir uns an äußere und innere Veränderungen anpassen. Die Epigenetik zeigt uns, dass auch kleine Dinge im Leben große Wirkung entfalten können." Werden z.B. Gene, die sonst die Zellteilung kontrollieren abgeschaltet, entwickelt sich Krebs.
Als die Forscher probeweise eine Enzym aus dem dieser Schalter besteht blockierten, wuchs hingegen kein Tumor. Aber auch das Umgekehrte kann passieren: Werden bestimmte Stoffe aus denen die Genschalter bestehen entfernt, wird ein Gen aktiviert. Geschieht dies bei einem DNA-Abschnitt, der normalerweise durch einen Schalter abgeschaltet ist, weil er das Wachstum von Krebszellen fördert, kann dieser Gen-Abschnitt nun seine verheerende Wirkung entfalten. Der enge Zusammenhang zwischen Epigenetik und Tumorwachstum bietet für die Forscher Grund zur Hoffnung. Denn im Gegensatz zu genetischen lassen sich epigenetische Veränderungen im Prinzip ("leicht") rückgängig machen.