Freitag, 8. Oktober 2021

Freier Wille als Märchen unseres Gehirns!



Freier Wille?
Der Berliner Hirnforscher Univ. Prof. Dr. Gerhard Roth ist davon überzeugt, dass wir von der Vorstellung, dass es einen freien Willen im traditionellen Sinne gibt, endgültig Abschied nehmen müssen." Zwar bestreitet niemand von den Forschern, dass der Mensch Handlungen planen und Alternativen abwägen könne. Ob, wie und wann wir dann aber schließlich handeln, bestimmen zum Großteil unbewusste Vorgänge im Gehirn. Und es zeigt sich, dass dieses Unbewusste eine viel größere Rolle spielt als bisher angenommen."

Das Gehirn kann nach Ansicht vieler Forscher dem menschlichen Bewusstsein sogar das Gefühl vorgaukeln, autonom zu handeln, obwohl es manipuliert wurde. Mehrere Untersuchungen weisen darauf hin, dass man den freien Willen durch gezielte Stimulationen in diesem supplementär-motorischen Areal künstlich erzeugen kann," erklärt Gerhard Roth in Berlin. Wenn man die richtige Stelle reizt, heben die Leute beispielsweise ihren Arm und behaupten dann, sie hätten dies gewollt."

Was aber ist mit dem Gefühl, ein Ich zu sein? Gibt's, sagen die Forscher. Es habe mit der Evolution vom Affen zum Menschen zu tun, während der die Großhirnrinde dramatisch zugenommen hat", erläutert der Neurobiologe Wolf Singer vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung. Die hinzugekommenen Hirnabschnitte ermöglichen es dem Menschen unter anderem, Bilder und Szenen vor dem geistigen Auge ablaufen zu lassen und somit die eigenen Handlungen zu planen und die anderer Menschen abzuschätzen.

Das Libet Experiment
Die vieldiskutierten klassischen Experimente dazu hat Benjamin Libet durchgeführt. Libet forderte seine Versuchspersonen auf, innerhalb einer definierten Zeitspanne irgendwann zufällig die Hand zu heben. Dabei wurde das EMG und EEG messtechnisch erfasst.
Libet konnte nun in seinem Experiment nachweisen, dass etwa 200 ms vor der tatsächlichen motorischen Bewegung subjektiv das Gefühl auftrat, die Hand bewegen zu wollen.

Neuere Experimente
Hirnforscher geben der Debatte um den freien Willen neue Nahrung. Schon zehn Sekunden vor einer bewussten Entscheidung wird das Gehirn aktiv. In einem sehr ähnlich angelegten Experiment (wie das Libet Experiment) konnte mithilfe der funktionellen Kernspintomographie (fMRI)  das Benutzen der rechten oder linken Hand auf der Grundlage von fMRI-Daten, die etwa acht Sekunden vor der Bewegung aufgenommen wurden vorhergesagt werden. Dies scheint ein weiterer Beweis zu sein, dass es einen freien Willen wie wir in uns bisher vorgestellt haben nicht gibt. Also Entscheidet das Gehirn (oder sonst was) quasi an unserem Bewusstsein vorbei?

Hinkt das Bewusstsein um 7 Sekunden hinterher? Nein, um noch viel mehr. 
»Der Kernspintomograf zeigt die Hirnaktivitäten mit einer Verzögerung von drei bis vier Sekunden«, erklärt Prof. Dr. J.D. Haynes, »tatsächlich also sind diese Areale bereits etwa zehn Sekunden aktiv, bevor die Entscheidung als bewusst erlebt wird.« Der Befund von Libet ist damit nicht nur bestätigt, sondern sogar noch mächtig verschärft: Das Gehirn wird nicht erst 0,3, sondern volle 10 Sekunden vor einer als bewusst erlebten Entscheidung aktiv. Also eine Ewigkeit! Wie soll man sich das erklären? (LINK: https://de.wikipedia.org/wiki/John-Dylan_Haynes)

Sind wir Meister des eigenen Schicksals?
Der freie Willen und seine Tücken: Moderne Hirnforscher machen sich auf die Suche nach dem selbstbestimmten "Ich" des Menschen. Die moderne Gehirnforschung versucht, menschliche Denkprozesse und Handlungsmuster mit Vorgängen im Gehirn in Zusammenhang zu bringen. Dadurch entsteht vielfach das Bild, der Mensch sei allein durch neurobiologische Prozesse bestimmt. Es stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt ein "Ich", einen freien Willen? Geisteswissenschaftler und Philosophen fordern jedoch, den Menschen als Ganzes im Blick zu behalten.

Jeder von uns kennt es: das untrügliche Gefühl, Herr der eigenen Handlungen zu sein. Wir sind im Allgemeinen davon überzeugt, zwischen mehreren Handlungsalternativen frei wählen zu können und letztlich unser Leben selbst in der Hand zu haben. Doch seit die moderne Hirnforschung versucht, Handlungen, Entscheidungsprozesse, Denkabläufe und Gefühle durch Prozesse im Gehirn zu erklären, steht der freie Wille zur Diskussion. Lassen sich auch solch komplexe Phänomene wie Willen und Bewusstsein allein durch physiologische, also letztlich materielle Gesetzmäßigkeiten erklären? Oder gibt es doch noch etwas anderes, was über die beobachtbaren Erscheinungen hinausgeht?

Bisher gebe es keinen Beweis dafür, dass rein mentale Abläufe existieren, die nicht an Vorgänge im Gehirn gebunden sind, sagt Gerhard Roth, Leiter des Instituts für Hirnforschung an der Universität Bremen. Menschliches Handeln sei entweder durch Zufall oder durch bewusste oder unbewusste Beweggründe bestimmt. Gebe es jedoch Beweggründe, müssen diese auf Vorgänge im Gehirn zurückführen sein, argumentiert Roth, der darüber zusammen mit dem Neurophilosophen Michael Pauen von der Humboldt-Universität Berlin ein Buch geschrieben hat.

Seine Sichtweise zum Thema Willensfreiheit legte Roth nun auf einem Symposium am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München dar und verdeutlichte seine Argumentation an einem naheliegenden Beispiel: Für seine Entscheidung, in München einen Vortrag zu halten, hätte es bewusste und unbewusste Gründe gegeben: Zum Beispiel, wie gut er die Veranstalter kenne und ob er gerne nach München fahre. Er habe also durchaus eine freie Wahl gehabt.

Fotoquelle: pixabay