Jenny Fox Sängerin |
Mit dem Gerät kann der Psychologe Boris Kleber in den Kopf, ins Gehirn der Sängerin Cornelia Lanz blicken. Die Hirnforscher wollen dem Nervengeflecht auf diese Weise eines seiner schönsten Rätsel entlocken: wie im Gehirn Melodien entstehen. Sie suchen nach dem Musiker im Menschen; und gerade im Jahr 2006 (begann diese Forschung) das Jahr des 250. Geburtstags von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Suche ist auch eine Suche nach dem Genie in uns. Die Forscher werden dabei rasch fündig.
Sängerinnen und Sänger musizieren mit mehr Gefühl als Instrumentalisten
16 Sänger haben die Tübinger bisher untersucht. Erste Ergebnisse liegen bereits vor. „Sänger musizieren mit mehr Gefühl als Instrumentalisten“, meint Kleber. Bei ihnen dient der Körper als Instrument, und „ohne Gefühle lassen sich ihm eben keine schönen Töne entlocken“. Deshalb ist ihre Hörregion besonders eng mit Gebieten der Emotionsverarbeitung verbunden.
Geiger haben weniger Emotionen
„Bei Geigern konnten wir viel weniger Aktivitäten in Hirnarealen sehen, die Emotionen verarbeiten“, erklärt Klebers Arbeitsgruppenleiter Martin Lotze. ...
Aber jeder Musiker hat sein Spezialgehirn.
Anhand der Nervenaktivitäten können die Forscher nicht nur Sänger von Violinisten unterscheiden. Auch Vorlieben für einzelne Instrumente lassen sich auseinander halten. Der Heidelberger Neurowissenschaftler Peter Schneider vermutet sogar, dass derartige Präferenzen angeboren sind. Als er in die Köpfe von 67 Musikern schaute, fielen ihm Unterschiede in einer bestimmten Hörregion der Großhirnrinde auf, der so genannten Heschlschen Querwindung. Wer beispielsweise Cello, Fagott oder Tuba spielte – alles Instrumente mit lang gezogenen, eher tiefen Tönen -, hatte rechtsseitig mehr graue Substanz. Wer dagegen kurze, scharfe Klänge von Gitarre oder Klavier bevorzugte, trug seinen Schwerpunkt links. „Der Unterschied war nahezu unabhängig davon, wie lange die Probanden bereits musizierten“, meint Schneider. Der Hirnforscher kann sich deshalb sogar vorstellen, aus der Hirnstruktur die Begabung für eine Instrumentengruppe herzuleiten.
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Mozarts Hirn
Immer mehr Besonderheiten finden die Forscher. Stück für Stück entsteht so auch ein Bild davon, wie Mozarts Gehirn ausgesehen haben könnte. Hätte man dieses bisweilen kindische, obszön schimpfende und durchaus eitle Genie ins Innere eines MRT geschoben, was hätte man gesehen? Den Grund für Mozarts Genialität wohl nicht, aber eine Reihe Eigenheiten wäre sicher aufgetaucht. Mozart klimperte schon mit drei Jahren auf einem Cembalo, einem Instrument mit eher lang gezogenen, tiefen Tönen. Seine Heschlsche Querwindung könnte deshalb rechts mehr graue Substanz besessen haben. Dieser Teil der Hörrinde dürfte bei ihm zudem rund 130 Prozent größer gewesen sein als bei Nichtmusikern. Mozart könnte auch eine etwa 15 Prozent dickere Verbindung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte gehabt haben. Zudem arbeitete seine Schaltzentrale beim Musizieren wohl weit effizienter als die normaler Menschen. Der Neurologe Lotze fand heraus, dass Laien beim Musizieren weit mehr Areale ihres Denkorgans bemühen müssen als Profis. Sogar Mozarts absolutem Gehör sind die Forscher auf der Spur. Das Wunderkind konnte Töne erkennen wie andere einzelne Wörter. Wichtig scheint dafür das so genannte Planum temporale zu sein, eine Region im Hörzentrum. Bei Absoluthörern ist sie linksseitig größer und dichter als bei der Normalbevölkerung.
Die genialen Gene und das absolute Gehör.
Noch unveröffentlichte Daten des Neurowissenschaftlers Schneider deuten darauf hin, dass ein absolutes Gehör zum Teil angeboren ist. Welche Fähigkeiten damit einhergehen, zeigte der Hamburger Götz Östlind Ende Januar bei „Wetten, dass..?“. Er konnte vier gleichzeitig angeschlagene Töne exakt benennen. Die Zuschauer wählten den 28-jährigen Profimusiker zum Wettkönig. Weniger glücklich verlief dessen erste Begegnung mit der Begabung. Mit neun Jahren hatte Östlind begonnen, Cello zu lernen. „Aber egal, was ich tat, das Instrument klang schief“, erinnert er sich. „Es war frustrierend.“ Seine Eltern wunderten sich. Sie konnten keinen Misston wahrnehmen und testeten das Gehör ihres Sohnes am Klavier. Als der Neunjährige sämtliche 88 Töne unterscheiden konnte, war klar: Der kleine Götz spielte nicht zu schlecht, er hörte nur zu gut.
Nur einer von 10000 Erwachsenen besitzt diese Fähigkeit.
Neuere Studien deuten allerdings darauf hin, dass sie bei Babys weit häufiger vorkommt, anschließend aber verkümmert, weil kaum ein Kind sie nutzt. Der kanadische Neuropsychologe Robert Zatorre von der McGill-Universität in Montreal geht davon aus, „dass Kinder bis zu einem Alter von sieben oder acht Jahren ihr absolutes Gehör ausbilden können“. Ähnliches legt auch eine Untersuchung von Diana Deutsch von der University of California in San Diego nahe. Die Psychologin hatte festgestellt, dass Musikschüler aus China mindestens viermal häufiger ein absolutes Gehör besitzen als ihre Klassenkameraden aus den USA. Die Chinesen sprachen Mandarin, eine so genannte Tonsprache. Bei ihr hängt die Bedeutung der Worte von der Tonhöhe ab; wer mit ihr aufwächst, schult sein Ohr darin, Klänge genau zu unterscheiden.
Gehirne sind Rohmaterial, sie wollen geformt werden. So räumt die neurologische Musikforschung mit der alten Vorstellung auf, die Schaltzentrale des Menschen sei eine festgefügte Einheit. „An Musikergehirnen sehen wir, wie Lernen funktioniert“, meint Stefan Koelsch vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. In der Schaltzentrale scheinen nur wenige musikalische Besonderheiten angeboren zu sein – etwa die Vorliebe für eine bestimmte Intrumentengruppe. Die meisten Spezialitäten eines Musikergehirns beruhen auf Training.
Hohe Neuroplastizität
Schon nach 20 Minuten Klavierspiel entstehen neue Nervenverbindungen im Gehirn.
"Als würde man den Zellen beim Wachsen zuschauen“, sagt der Physiker Marc Bangert, der die Studie an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover durchgeführt hatte. „Und wer fünf Wochen lang jeden zweiten Tag geübt hat, kann davon ausgehen, dass sie erhalten bleiben.“
Welche Spuren die Musik auf lange Sicht in Gehirnen hinterlässt, untersucht Gottfried Schlaug gerade in seinem Labor an der US-amerikanischen Harvard Medical School. Dort verfolgt er 50 Kinder im Alter zwischen fünf und sieben Jahren, seit sie vor zwei Jahren mit dem Klavier- oder Geigenunterricht begonnen haben. Noch ist die Studie nicht abgeschlossen, aber vorläufige Daten „zeigen eine stärkere Zunahme der grauen Substanz als in der Kontrollgruppe“, meint der Hirnforscher. „Die Besonderheiten scheinen umso größer zu sein, je früher ein Musiker begonnen hat und je länger und intensiver er übt.“ Bei Neun- bis Elfjährigen, die seit rund vier Jahren ein Instrument spielten, maß Schlaug 13 Prozent mehr graue Substanz als bei Gleichaltrigen, die nicht musizierten. Musik ist Training für den Kopf.
Mitunter übertreiben Gehirne dabei sogar. Bei manchen Instrumentalisten dehnt sich das Areal für einige Finger so stark aus, dass es mit Regionen überlappt, die benachbarte Finger koordinieren. Das Gehirn steht sich selbst im Weg, die Hand verkrampft. „Wirklich heilen können wir die Krankheit leider noch nicht“, meint Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Meistens ist der Effekt der Musik jedoch positiv.
Beim Musizieren fällt sogar für andere Bereiche des Denkens etwas ab. Zahlreiche Studien bescheinigen Musikern eine bessere räumliche Vorstellungskraft, mehr Geschick in Mathematik und eine gewandtere Sprache. Der Mozart-Effekt lebt wieder auf.
Denken wird leichter
1993 hatte Frances Rauscher von der University of California in Irvine gezeigt, dass Studenten bestimmte Denkaufgaben leichter fielen, wenn sie zuvor Mozarts Sonate KV 448 gehört hatten. Eine ganze Industrie entstand, um den Menschen eine Extraportion Intelligenz zu verkaufen. Dabei ging unter, dass Musikhören allein die geistigen Fähigkeiten höchstens kurzfristig steigert. Wer dauerhaft in Mathe oder Deutsch zulegen will, muss selbst musizieren.
Die wohl umfangreichste Studie dazu unternahm der Frankfurter Pädagoge Hans Günther Bastian in den 90er-Jahren. Sechs Jahre lang verfolgte er Berliner Grundschüler, die eine Stunde zusätzlichen Musikunterricht erhielten und ein Instrument lernten. Am Ende konnten sie im Schnitt besser abstrakt denken als Gleichaltrige ohne musikalische Zusatzausbildung und hatten einen leicht höheren IQ.
Bei einem ähnlichen Versuch in der Schweiz erhielten Schüler drei Jahre lang eine Stunde weniger Mathe und eine Stunde weniger Deutsch zu Gunsten der Musik. „Trotzdem lagen die Schüler des Musikzweigs in Mathe und Deutsch gleichauf“, erzählt Bastian.
Nur sehr wenige Reize aktivieren das Gehirn so umfassend wie Melodien.
Immer häufiger verschreiben deshalb Mediziner Musikunterricht, um sogar schwere Hirnschäden zu behandeln. Die Therapeutin Monika Jungblut singt mit Schlaganfallopfern, um ihr Sprachvermögen zu reaktivieren. In einer Studie an der Universität Witten/Herdecke zeigte sie, dass drei Viertel der Betroffenen nach sieben Monaten deutlich besser sprachen als Patienten ohne Therapie. „Die Gesangsübungen regten sogar beschädigte Hirnareale an“, berichtet Jungblut.
Noch erstaunlicher sind die Erfolge bei Wachkoma-Patienten.
„Mit Hilfe der Musik erreichen wir die emotionalen Areale des Gehirns“, erklärt David Aldridge vom Lehrstuhl für Qualitative Forschung in der Medizin an der Universität Witten/Herdecke. Trotz immenser Schäden in der Hirnrinde sind die Gefühlszentren bei den Betroffenen meist noch intakt, „und wir haben ein Einfallstor“. Dieser Weg führte auch bei Dominik ans Ziel. Der Sechsjährige war vor drei Jahren auf einem Spielplatz so schwer verunglückt, dass er ins Wachkoma fiel. Reglos lag er im Bett des Solinger Pflegeheims St. Joseph und war praktisch nicht ansprechbar. Die Therapeutin Birgit van Beuningen begann, mit ihm zu musizieren. „Dominik bekommt eine Möglichkeit, sich auszudrücken“, erklärt van Beuningen. „Anders als im Stationsalltag wird er nicht behandelt, sondern kann selbst handeln.“ Heute schlägt der Junge begeistert mit den Schlegeln auf eine Trommel und kreischt vergnügt. Langsam klettert er zurück ins Leben, und es sind auch Tonleitern, die ihm dabei helfen.
Birgit van Beuningen, Musiktherapeutin: „Melodie und Rhythmus wirken direkt auf die Sinne des Menschen. Oft sind sie der einzige Weg, um Kontakt aufzunehmen“
Die Musikalität des Menschen ist nach heutigem Wissen nicht zufällig entstanden.
Wahrscheinlich diente sie der Kommunikation und Gruppenorganisation in Urgesellschaften.
Was im Gehirn geschieht
- Der Hirnstamm erhält die Klanginformationen aus dem Hörnerv.
- Ein Teil der Reize gelangt ins limbische System, einem wichtigen Zentrum für Emotionen. Hier entstehen Glücksgefühle, die Reaktion auf Musik ist dabei ähnlich wie die auf Sex oder einer Droge.
- Der größte Teil der Signale erreicht die primäre Hörrinde. Sie sortiert die Informationen vor.
- Anschließend gelangen sie zur sekundären Hörrinde. Eine genauere Analyse erfolgt. Die rechte Hörrinde scheint dabei für Harmonien zuständig zu sein, die linke mehr für den Rhythmus.
- Sensorische und motorische Bereiche der Großhirnrinde steuern bewusste Reaktionen, etwa das Mitsummen oder Mitklatschen von Liedern.
- Im oberen Stirnlappen sitzen Fähigkeiten zum planerischen Denken. Die Region hilft beispielsweise beim Komponieren.
- Im unteren Stirnlappen erfolgt das subjektive Urteil über Musikstücke.