Misshandelte Kinder starten mit vorzeitig gealterten Chromosomen ins Leben (es fehlen ihnen einige Jahre an Lebenszeit!)
Gewalterfahrungen in der Kindheit nagen an den Telomeren, den Schutzkappen der Träger des Erbgutes. Diesen Zusammenhang konnten Forscher nun bei fünf- bis zehnjährigen Kindern nachweisen, die Misshandlungen erleiden mussten. Verkürzte Telomere gelten als ein Zeichen der Alterung und sind mit einem erhöhten Risiko für Erkrankungen und einer verkürzten Lebenserwartung verbunden. ...
Die Erbinformationen des Menschen sind im Kern einer jeden Körperzelle in einzelnen Einheiten, den Chromosomen, zusammengefasst. Die Enden dieser Strukturen bezeichnet man als Telomere. Sie enthalten zwar keine Bauanweisungen für Proteine oder Steuermoleküle, bestehen aber aus denselben Bausteinen wie die Gene selbst, den Nukleotiden. Beim Kopieren der DNA während der Zellteilung kommt es an den Enden neuer DNA-Stränge immer zu einem Verlust einiger Nukleotide. Ohne die Pufferfunktion der Telomere gehen somit bei jeder Zellteilung genetische Informationen verloren. Genau darin besteht nach derzeitiger Lehrmeinung der Grund für die Zellalterung: Sind die Telomere nach einer bestimmten Anzahl von Zellteilungen aufgebraucht, werden die Erbinformationen angegriffen und es kommt zur Bildung von schadhaften Zellen.
Telomere – Spiegel der Lebensumstände
Stress und Angst bis in die Zellen
Die Auswertungen ergaben, dass etwa 42 Prozent der Kinder Opfer von Misshandlungen, Mobbing oder häuslicher Gewalt gewesen waren. Genau dies spiegelte sich den Forschern zufolge auch im Erbgut der kleinen Probanden wider: Ihre Telomere hatten sich in den fünf Jahren zwischen den beiden DNA-Proben im Durchschnitt deutlich stärker verkürzt als bei Altersgenossen, die keine Misshandlungen erlebt hatten. Auch ein bedrückender Dosiseffekt sei zu verzeichnen gewesen, berichten die Forscher: Je mehr Gewalterfahrungen ein Kind durchlebt hatte, desto stärker hatten sich seine Telomere verkürzt.
Die molekularen Hintergründe des Zusammenhangs sind noch nicht abschließend geklärt, betonen Idan Shalev und seine Kollegen. Vermutlich nagen aber übermäßige Immunreaktionen oder freie Radikale an den Telomeren. Von diesen Faktoren sei bereits bekannt, dass sie im Zusammenhang mit Stresssituation auftreten und dann ihre schädliche Wirkung entfalten.
Der genaue chemische Prozess, der zur Abnutzung der Telomere führt, muss noch geklärt werden, schreiben die Forscher. Oxidativer Stress oder belastungsbedingte Entzündungen, die wiederum das Immunsystem kippen lassen, kommen für sie in Frage. Das veränderte Erbgut ist demnach auch für die höhere Krankheitsanfälligkeit im Erwachsenenalter verantwortlich.
Quelle: Idan Shalev (Duke-Universität in Durham ) et al.:Molecular Psychiatry, doi: 10.1038/mp.2012.32; LINK: http://www.nature.com/mp/journal/vaop/ncurrent/full/mp201232a.html
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Anm.: Da lässt sich auch überlegen wie es in Situationen von Kindesmissbrauch, in Kinderheimen und in kirchlichen Organisationen (von denen man in letzter Zeit immer wieder hört) mit der Lebenserwartung der Betroffenen steht. Den Betroffenen kann man ja Lebenszeit nicht wirklich abgelten!
Die Studie bestätigt einmal mehr: Gewalt an Kindern zu verhindern, ist die beste Gesundheitsvorsorge. Zumal dieser Stress offenbar bis in die Zellen wirkt.