Montag, 16. Juli 2012

So leicht sind wir zu manipulieren


Unsere Wahrnehmung und unser Denken sind leicht beeinflussbar
Betrunken ohne Alkohol, gefördert dank Vorurteile, erfolgreich mit Glücksbringern: Es ist erstaunlich einfach, unsere Wahrnehmung und unser Denken zu beeinflussen. Wieso nur?

Warum wechselt Serena Williams ihre Socken nicht, so lange sie ein Turnier spielt? Zumindest erzählte die Wimbledon-Siegerin einmal, dass sie diese Marotte pflege. Die Frage könnte aber auch lauten: Warum zieht der Golfer Tiger Woods bei Turnieren sonntags am liebsten ein rotes Hemd an? Und weshalb trug der Basketball-Superstar Michael Jordan unter seinem Trikot immer seine alten Shorts aus Uni-Zeiten?

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Bild rechts: Kann eine schwarze Katze das Leben eines Menschen beeinträchtigen? Die Vorstellungen und Erwartungen von Menschen, die von der Macht solcher Unglücksbringer überzeugt sind, entfalten in deren Kopf tatsächlich Wirkung. 
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Ganz einfach: Diese Marotten verleihen den Sportlern Sicherheit. Aus irgendeinem Grund betrachten sie die Kleidungsstücke als Erfolgsgaranten - und tatsächlich beeinflussen bestimmte Kleidungsstücke mitunter die Leistung von Spitzensportlern.

Die Psychologen Robert Michael und Maryanne Garry von der Universität Wellington in Neuseeland sowie Irving Kirsch von der Harvard Medical School haben für einen Überblicksartikel Studien über ähnliche Formen der Suggestion und Autosuggestion zusammengetragen (Current Directions in Psychological Science, Bd. 21, S. 151, 2012).

Nicht alle Beispiele sind derart offensichtlich wie die von den Glücksbringern im Spitzensport. Oft handelt es sich um subtile Signale, die suggestive Kraft entfalten - und zwar ohne, dass der Mehrzahl der Menschen bewusst wird, was da mit ihnen geschieht.

Die wohl wichtigste Einsicht aus der Forschung in diesem Bereich "besteht darin, dass unser Denken und unser Verhalten in viel stärkerem Maße, als wir es erkennen oder wollen, von unserem augenblicklichen Umfeld beeinflusst wird", schreibt der Harvard-Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" (Siedler).

Sinnlose Objekte werden mit einem Erfolg assoziiert
Wer seine Sportsocken über mehrere Tage benützt (auch wenn sie nicht mehr so hygenisch sind), möchte nach einem ersten Sieg unter möglichst exakt gleichen Bedingungen ins nächste Match gehen. So werden oft sinnlose Objekte oder Verhaltensweisen mit einem Erfolg assoziiert und mit einer Erwartung versehen.

"Wenn wir ein bestimmtes Ereignis erwarten, dann setzen wir automatisch eine ganze Kette von Denkmustern und Verhaltensweisen in Gang, die dieses Ergebnis eintreten lassen - nur dass wir die Ursache dafür falsch bewerten", schreiben die Psychologen um Michael in ihrer Arbeit.

Das mag banal sein, doch die einzelnen Beispiele dafür, wie sehr die Erwartung das Erleben und das Denken von Menschen beeinflusst, bleiben beeindruckend. Zum Beispiel wenn gegensätzliche Erwartungen bei einer Aufgabe auch gegensätzliche Ergebnisse produzierten. So gaben Wissenschaftler Probanden manipulierte Wodka-Tonics, die keinen Alkohol enthielten aber so schmeckten. Die Testpersonen erwarteten, dass der Alkohol ihre Sinne benebeln würde - und tatsächlich ließen sie sich in einem Versuch eher von irreführenden Informationen verwirren.

In einem weiteren Test ergab sich das gegenteilige Bild: Diesmal nahmen Probanden ein wirkungsloses Mittel in dem Glauben ein, es handele sich um ein Medikament, das die Leistungsfähigkeit von Soldaten im Einsatz steigere. Unter diesen Umständen waren die Probanden konzentriert und kaum empfänglich für die widersprüchlichen Informationen, die ihnen präsentiert wurden.

Die Erwartungen verändern die inneren Zustände 
Diese Art von Studien haben Psychologen in vergangenen Jahren in beeindruckender Stückzahl publiziert:

  • Die gleiche Schokolade schmeckt besser, wenn man glaubt, sie stamme aus der Schweiz statt aus China.
  • Ein Energydrink zum vollen Preis lässt einem mehr Aufgaben lösen als ein preisreduziertes Getränk.
  • Ein Placebo steigert die Leistung von Sportlern, Wein schmeckt besser, wenn er angeblich teuer war, und auch Medikamente wirken stärker, wenn sie viel kosten.
  • Ein Medikament wird als stimulierend empfunden, wenn dies Patienten zuvor mitgeteilt wird, obwohl der Stoff tatsächlich entspannend wirkt.
  • Und Lehrer fördern jene Schüler besonders, von denen sie eine hohe Meinung haben, ohne dass dieses Verhalten den Lehrern bewusst oder es für andere offensichtlich war.
  • Erwartungen übertragen sich sogar: Das Verhalten von Richtern im Gerichtssaal kann die Meinung der Geschworenen auf Linie bringen. Die Liste ließe sich schier endlos fortführen. 

Wie lassen sich diese Effekte erklären?
Laut Kirsch verändern die Erwartungen eines Menschen unmittelbar, wie er seine inneren Zustände erlebt. Wer intensiv in sich hineinhorcht, hört also quasi das Echo seiner Vorstellungen davon, was er dort hören sollte. Introspektion dieser Art ist gleichbedeutend mit der Suche nach bestätigenden Informationen.

Falsche Urteile über die Kausalität 
Wer eine vermeintlich leistungsfördernde Pille geschluckt hat, macht sich auf die Suche nach Signalen für besondere geistige Wachheit und bespiegelt sich mit erhöhter Aufmerksamkeit. Er wird Hinweise finden und ein falsches Urteil über die Kausalität fällen: Statt der mit erhöhter Konzentration betriebenen Selbstbespiegelung gilt das zuvor geschluckte Mittel als Auslöser des erlebten Zustands - nämlich der erhöhten Konzentration.

Nicht nur Erwartungen verzerren die Wahrnehmung oder das Denken eines Menschen. Wie Kahneman in seinem Buch zusammenfasst, entfalten auch völlig absurde, unwichtige oder nebensächliche Informationen Wirkungen.

Macht der Suggestion 
Dazu liefert der Psychologe ein markantes Beispiel. Probanden wurden die folgenden zwei Fragen gestellt: "War Gandhi mehr oder weniger als 144 Jahre alt, als er starb? Wie alt war Gandhi, als er starb?" Dass 144 Jahre ein unmögliches Alter sind, sollte jedem klar sein. Doch erzeugte dieser phantastische Wert bei den befragten Menschen automatisch die Vorstellung von einem sehr, sehr alten Menschen - und beeinflusste auf diese Weise die Schätzwerte. Wird die Frage nach dem Alter, in dem Gandhi starb, auf diese Weise gestellt, liegen die Antworten im Schnitt weit über den 78 Jahren, mit denen der Held der indischen Unabhängigkeit tatsächlich starb.

Suggestion ist ein Priming-Effekt, der selektiv kompatible Informationen ins Gedächtnis ruft", schreibt Kahneman. Die Vorstellung von einem Greis ist hochkompatibel mit dem sinnlosen Wert "144 Jahre".

Um Kompatibilität geht es auch bei der Erfüllung von Erwartungen: Das Erleben wird mit der Erwartung in Einklang gebracht. Diese Effekte stehen im Übrigen auch Wissenschaftlern im Weg, die von all diesen Ergebnissen berichten.

Die Experimentatoren könnten durch subtile Signale das Verhalten ihrer Probanden beeinflussen, schreiben Michael, Garry und Kirsch.
Etwa in einer höchst verblüffenden Studie: Wurde Reinigungspersonal in Hotels mitgeteilt, ihre Tätigkeit sei ein gutes Training für den Körper, reduzierte sich deren Körperfettanteil und der Blutdruck sank.

"Diese Ergebnisse passen zu der Idee, dass die Übernahme eines spezifischen Denkmusters Erwartungen hervorruft, die wiederum auf die Physiologie eines Menschen wirken könnten", sagt Michael.

In diesem speziellen Fall könnte es sich aber auch ganz anders verhalten haben: Vielleicht hat die Erwartung der Forscher den Blick in die Rohdaten getrübt oder der Effekt in der ursprünglichen Studie hat sich deshalb gezeigt, weil die Wissenschaftler "unbewusst ihre Erwartungen signalisiert haben", argumentiert Michael.

Zumindest ist es zwei Arbeitsgruppen nicht gelungen, diese Studie mit Hotelangestellten erfolgreich zu wiederholen - aber das war bei einem Experiment mit so einem abenteuerlichen Ergebnis vielleicht nicht anders zu erwarten. Anm.: Natürlich hängt jede Suggestion die eine Vorstellung entwickeln soll von der Qualität und somit Fähigkeit des Suggestors (Studieleiter) direkt ab. Daher konnten bzw. können bei anderen Experimenten eventuell keine positiven Ergebnisse erzielt werden.
Quelle: SDZ, 2012.