Forschung: Die feine elektrische Stimulation eines bestimmten Hirnbereichs verändert die Wahrnehmung von Gesichtern.
Ron Blackwell, Quelle: Josef Parvizi (Stanford University) |
Ron Blackwell ist Epileptiker, und das schon sein ganzes Leben lang.
Elektrodenmatten - Bild: University of Utah |
Eine einzigartige Gelegenheit
Tatsächlich gelang es den Neurologen, die verantwortliche Region in Blackwells Gehirn zu identifizieren. Und dabei zeigte sich: Der 47-Jähre war für Parvizi und seine Kollegen in einer weiteren Hinsicht ein einzigartiger Glücksfall. Denn der Auslöser seiner Krampfanfälle lag in einem Bereich des Gehirns, der auch den sogenannten Gyrus fusiformis beherbergt. Das ist ein Stückchen einer Gehirnwindung im unteren Bereich des Schläfenlappens, das als hauptverantwortlich für die Gesichtserkennung gilt. Besonders zwei Nervenzellcluster, genannt pFus und mFus, stehen dabei im Fokus der Forschung. Die Platzierung der Elektrodenmatte, die Blackwell angelegt wurde, ermöglichte daher eine äußerst genaue Untersuchung der Gesichtserkennungsregion. Mehr noch: Wie es der Zufall wollte, waren zwei der Elektroden sogar exakt auf pFus und mFus gelandet.
Damit hatten die Ärzte erstmals die Möglichkeit, die beiden Cluster ganz gezielt und dazu noch synchron mit einem einzigen Tastendruck zu stimulieren. Der Effekt war dramatisch: "Sie haben sich gerade in jemand anderen verwandelt – Ihr Gesicht hat sich verändert", bescheinigte Blackwell Parvizi nach dem ersten, für ihn völlig schmerzlosen Testlauf ungläubig und fasziniert. Dann erklärte er den Effekt genauer: "Ihre Nase wurde schlaff und wanderte nach links. Sie sahen aus wie jemand, den ich schon einmal gesehen habe, aber jemand anderes… das war vielleicht ein Trip!"
Wie die Forscher erhofft hatten, erfasste die Verzerrung fast ausschließlich die Gesichtszüge. Anzug und Krawatte, die Parvizi während der Tests trug, veränderten sich für Blackwell nicht. Auch ein späterer Test mit einem beschrifteten Luftballon und einem Fernsehgerät zeigten: Blackwell nahm zwar eine winzige Verschiebung wahr, sobald der Strom angeschaltet wurde, die Gegenstände und auch die Schrift veränderten jedoch nicht ihre Position zueinander, wie es die Bestandteile von Parvizis Gesicht taten. Bei einem weiblichen Testgesicht war der Effekt dagegen wieder vorhanden: "Der untere Teil ihres Gesichts hat sich irgendwie nach oben geschoben und alles zusammengedrückt", berichtete Blackwell. Und muss selber lachen: "Das war nicht hübsch!"
Sehen - Gesichter oder Autos?
Die Ergebnisse, die Parvizi und seine Kollegen anschließend noch durch Messungen mit einem Magnetresonanztomografen untermauerten und bestätigten, dürfte der Diskussion um die Fusiform Face Area oder FFA, wie der entsprechende Bereich häufig genannt wird, zumindest neue Nahrung geben. Denn bei der Frage, wie die Gesichtserkennung funktioniert, gibt es nach wie vor zwei Lager: Die einen sagen, die FFA sei auf Gesichter spezialisiert und vom Gehirn ausschließlich für deren Wiedererkennung abgestellt. Die anderen sind dagegen der Ansicht, dass das kleine Areal für alles zuständig ist, womit man sich intensiv beschäftigt – eine Art Zentrum für Expertisen, sozusagen. Dazu gehören natürlich Gesichter, aber auch Gegenstände oder Objekte des täglichen Lebens. So hatte erst kürzlich eine Studie gezeigt, dass bei Autoexperten Bilder von Autos die FFA ebenso aufleuchten lassen wie Fotos von Gesichtern.
Eine Erklärung für diese Diskrepanz wäre, dass die FFA verschiedene Gruppen von Nervenzellen beherbergt, von denen einige, wie etwa mFus und pFus, die Gesichtserkennung übernehmen und andere für andere Objekte zuständig sind. Diese Gruppen zu unterscheiden, ist allerdings schwierig – schließlich ist die gesamte FFA nicht viel größer als eine Blaubeere.
Das 14 Seiten PDF dazu: http://www.pce.at/PDF/2012_Parvizi_et_al.pdf (in englisch)
VIDEO zu Josef Parvizi hat Ron Blackwells Reaktionen auf die Hirnstimulation (in englisch, frei zugänglich) https://www.dropbox.com/sh/ertqru7vminq9el/6kWSKn3X5o#f:Video-LowRes.m4v
Quelle: Josef Parvizi (Stanford University) et al.: Journal of Neuroscience, Ausgabe vom 23. Oktober