Samstag, 19. August 2017

Wo entsteht im Gehirn der Größenwahn?

Was ist der Hintergrund von Größenwahn?
Keiner möchte gerne darüber reden, doch es geschieht immer wieder: Insgeheim halten wir uns oft für überlegen. Dann fühlen wir uns klüger, schöner und liebenswerter als andere und sehen uns insgesamt in einem eher positiven Licht - zumindest, wenn wir nicht gerade unter einer Verstimmung oder Depression leiden. Dass dieses, zumeist unrealistisch, positive Selbstbild tief in unserem Gehirn verankert ist, und schon unsere Vorfahren in der Urzeit prägte, wurde nun bewiesen. Größenwahn ist nach neuesten Erkenntnissen eigentlich eine Fehlfunktion unseres Gehirns.

"Eine positive Sicht in Bezug auf unsere eigenen Fähigkeiten, unsere Persönlichkeit und Zukunft ist ein essenzieller Teil des menschlichen Geistes", erklären Makiko Yamada vom National Institute of Radiological Science im japanischen Chiba und ihre Kollegen. Diese Sichtweise ermutige uns, nach neuen Zielen zu streben und helfe uns dabei, Herausforderungen zu bewältigen. Sie gilt zudem als wichtig für unsere mentale Gesundheit. Fehlt diese positive Grundeinstellung, werden wir lethargisch und depressiv. ... 

Etwas Größenwahn gehört bei uns dazu
Doch mit diesem Selbstbild eng verknüpft ist auch eine kleine Prise Größenwahn: Unbewusst empfinden wir uns als attraktiver und den anderen überlegen, beispielsweise hinsichtlich unserer Intelligenz und geistigen Fähigkeiten, aber auch unseres Wesens. Das ist natürlich eine Illusion, konstatieren die Forscher. Denn schon mathematisch gesehen könne es nicht sein, dass bei einer Normalverteilung der Merkmale in der Bevölkerung die meisten Menschen attraktiver als der Durchschnitt sind. Dennoch scheint diese Überlegenheitsvorstellung (Illusion), wie sie in der Psychologie heißt, eines der Grundmerkmale unserer menschlichen Psyche zu sein. Neuere Modelle deuten sogar darauf hin, dass vermutlich schon unsere Vorfahren diese Form des übermäßig positiven Selbstbild besaßen.

Eine Illusion die in der Gehirnfunktion verankert ist
Genau an diesem Punkt setzen Yamada und ihre Kollegen an: Wenn diese Illusion in unserer Evolution und unserem Wesen so tief verwurzelt ist, so ihre These, dann liegt es nahe, dass sich dieser Wesenszug auch in der Struktur und Funktion unseres Gehirns manifestiert. Ihr Ziel war es daher, die neurologischen Wurzeln dieses unbewussten Überlegenheits-Gefühls zu finden.

Für ihre Studie ließen die Forscher zunächst 24 junge, gesunde Männer einen Test absolvieren, der zeigen sollte, wie stark ihre Überlegenheits-Illusion ausgeprägt war. Die Probanden sahen auf einem Bildschirm nacheinander 52 Wörter, die jeweils mit negativen oder positiven, als erstrebenswert geltenden Merkmalen assoziiert waren. Auf einer Skala von 0 - extrem unterdurchschnittlich bis 100 - extrem überdurchschnittlich, sollten sie dann einstufen, wie sehr sie selbst dieses Merkmal ihrer Ansicht nach besaßen.

Die Kontrollleitung im Gehirn ist gestört
Der AAC (blau) übt die Kontrolle aus
Anschließend untersuchten die Forscher die Gehirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) und Positronen-Emissions-Tomografie (PET).
Dabei zeigte sich: Je positiver und überlegener sich die Probanden zuvor eingeschätzt hatten, desto schwächer waren bei ihnen zwei bestimmte Hirnareale funktionell miteinander verknüpft. Eines davon, das sogenannte sensomotorische Striatum (SMST), wurde schon in früheren Studien mit unserem Selbstbild in Verbindung gebracht, wie die Wissenschaftler berichten. Das zweite Areal, der im Stirnhirn liegende Anteriore Cinguläre Cortex (ACC), ist ein Kontrollzentrum, es fördert vor allem durchdachtes, kontrolliertes Denken und spielt auch bei der bewertenden Einordnung von sozialen Informationen eine wichtige Rolle.

Wenn die Verbindung zwischen diesen beiden Arealen geschwächt ist - wie bei den meisten von uns -, dann kann das Kontrollzentrum nicht mehr so stark regulierend eingreifen, schlussfolgern die Wissenschaftler. Dadurch bekommen Impulse aus dem sensomotorischen Striatum die Überhand - und damit auch die Neigung, sich übersteigert positiv zu sehen.

Die Hirnscans gaben aber auch erste Hinweise darauf, warum dies bei einigen Menschen nicht der Fall ist, wie beispielsweise bei stark Depressiven. Denn es zeigte sich, dass bei gesunden Menschen der Hirnbotenstoff, Dopamin, aktiv die Kommunikation zwischen den beiden Hirnarealen hemmt. Bei depressiven Menschen ist dagegen häufig die Balance der Hirnbotenstoffe Dopamin und Serotonin gestört. Dies könnte nach Ansicht der Forscher auch der Grund dafür sein, dass bei ihnen das positive Selbstbild zu stark kontrolliert und damit unterdrückt wird: Sie sehen sich nicht mehr im rosa Licht der Überlegenheits-Illusion und verlieren dadurch schnell Motivation und Hoffnung.
Quelle: Makiko Yamada (National institute of Radiological Science, Chiba) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), doi: 10.1073/pnas.1221681110//A; National Institute of Radiological Science, Japan, Chiba.
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