Früher nutzten Physiker den Begriff "Elementarteilchen". Heute sprechen sie lieber nur von Teilchen, wenn es zum Beispiel um Protonen, Neutronen oder Elektronen geht. Ihnen ist zwischenzeitlich klar geworden, dass man mit dem Attribut "elementar" sehr vorsichtig sein muss. So hielt man das Proton für ein elementares Teilchen, bis man entdeckte, dass es sich aus drei sogenannten Quarks zusammensetzt. Zwar ist es bis heute nicht gelungen, freie Quarks zu beobachten, weil diese einfach zu stark aneinanderhaften. Doch als elementar kann man Protonen eben nicht mehr bezeichnen. Protonen sind auch keine unzerstörbaren Quantitäten. Wenn man sie etwa mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen lässt – wie das beim weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC am europäischen Forschungszentrum Cern jeden Tag geschieht –, dann zerplatzen sie zu einem Schwarm aus vielen verschiedenen Teilchen. Und die beiden ursprünglichen Protonen gibt es einfach nicht mehr. Das ist wahrlich nicht elementar.
Die Frage von Teilbarkeit oder Nichtteilbarkeit zieht sich durch die ganze Geschichte der Physik. Lange Zeit galt das Atom als die kleinste, nicht teilbare Einheit der Materie – eben als Grundeinheit eines chemischen Elements. Doch seit der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn im Jahr 1938 ist klar, dass so elementar die Atome – oder genauer gesagt die Atomkerne – dann doch nicht sind.
Ein Beitrag in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" macht deutlich, dass selbst das als punktförmig geltende Elektron unter bestimmten Umständen nicht mehr als perfekt elementar erscheint.
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrum Berlin und anderer Forschungsinstitute konnten unter der Federführung von Justine Schlappa nachweisen, dass sich Elektronen in bestimmten Festkörpern in sogenannte Quasiteilchen aufspalten, welche dann die Träger von Teileigenschaften des Elektrons sind. Plötzlich scheinen sich Partikel nur mit Spin und solche nur mit dem Orbitalmoment des Elektrons unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu bewegen. Die Physiker tauften die "Sub-Elektronen" auf Spinon und Orbiton.
Ein Elektron hat magnetischen Nord- und Südpol
Der Spin eines Elektrons lässt sich als Eigenrotation veranschaulichen, die zu einem kleinen Magnetfeld führt. Jedes Elektron hat in diesem Sinne einen magnetischen Nord- und Südpol – ähnlich wie die Erde. Da Elektronen in einem Atom und auch in einem Festkörper zusätzlich um die Atomkerne schwirren, entsteht durch diesen "elektrischen Strom" ein weiteres Magnetfeld – das Orbitalmoment. Die Trennung von Spin und Orbitalmoment lässt sich als kollektiver Effekt aller Elektronen verstehen. "Ähnlich wie die scheinbar der Schwerkraft entgegengesetzte Bewegung einer Gasblase nach oben in einem Glas mit Sprudel eine Folge der kollektiven Fallbewegung der umgebenden Wassermoleküle ist", erklärt Professor Ralph Claessen von der Universität Würzburg.
Das HOLON
Bereits vor 15 Jahren war es Forschern gelungen, in einem sogenannten Nanodraht – der einen Durchmesser von nur einigen Atomen besitzt – Ladung und Spin von Elektronen zu separieren.
Das Quasiteilchen für die Ladung wurde damals Holon getauft.
Experimente mit recht exotischer Situation
Die jüngsten Experimente wurden indes nicht an Nanodrähten, sondern in Strontium-Kupferoxid (Sr2CuO3) durchgeführt, dessen Kristalle eindimensionale Strukturen enthalten, in denen sich die Elektronen bewegen. Hier wie dort sind die Elektronen also in einem "eindimensionalen Draht" eingesperrt – eine recht exotische Situation.
Ein Holon, Spinon und Orbiton wird man wohl nie als freie eigenständige Teilchen beobachten können.
Sie sind ein Phänomen, das offenbar nur innerhalb von Materie und auch nur unter bestimmten Bedingungen auftreten kann (aber es kann auftreten!).
Das bedeutet aber nicht, dass ihre Existenz keine praktischen Konsequenzen haben könnte. Da die Miniaturisierung der Elektronik immer weiter voranschreitet und die Nutzung von Nanodrähten und Nanostrukturen in Schaltkreisen keine Utopie mehr ist, wird man an dieser Stelle die Eigenschaften der drei "Sub-Elektronen" wohl berücksichtigen müssen. Aber auch für das Verständnis der sogenannten Hochtemperatur-Supraleiter, in denen Strom ohne Widerstand fließt, könnten Holon, Spinon und Orbiton eine wichtige Rolle spielen. Denn die eindimensionalen Strukturen dieser Materialien sind jenen von Sr2CuO3-Kristallen sehr ähnlich.
Quelle: Forschungsinstitut - Helmholtz-Zentrum Berlin, Fachzeitschrift "Nature"
LINK: http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature10974.html