Mittwoch, 10. August 2022

Gehirnaktivität als Maßstab für Schönheit


Der Orbitofrontale Kortex reagiert sowohl auf visuelle, als auch auf akustische Reize.
Ob wir ein Kunstwerk oder Musikstück für schön halten, entscheidet der Hirnbereich direkt hinter unserer Stirn. Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass dieses Areal auf ganz unterschiedliche Sinneseindrücke reagiert. „Die einzige Region, die bei allen als schön empfundenen Reizen aktiviert wurde – unabhängig davon ob sie visuell oder musikalisch waren – befand sich im mittleren Orbitofrontalen Kortex“, berichten die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE". 

In ihren Versuchen hatten sie die Hirnaktivität von 21 Probanden während des Musikhörens und des Betrachtens von Bildern aufgezeichnet. Der aktivierte Hirnbereich gilt als Teil des Belohnungssystems. Die sinnesübergreifende Reaktion dieses Areals sehen die Wissenschaftler als Indiz dafür, dass es ein übergeordnetes, abstraktes Konzept von Schönheit in unserem Gehirn geben muss. „Fast alles kann als Kunst angesehen werden, aber wir denken, dass nur die Schöpfungen, deren Erfahrung mit einer Aktivität im mittleren Orbitofrontalen Kortex verbunden ist, als schöne Kunst klassifiziert werden kann“, sagt Semir Zeki vom University College London. 


Was ist Schönheit?
In vielen Künsten existieren Grundregeln der Symmetrie, Proportion oder Harmonie, die eine objektive Schönheit erzeugen sollen. Anderseits aber soll Schönheit im Auge des Betrachters liegen. Die Frage, ob es objektive Schönheit gibt und wie man sie definieren kann, ist daher seit Jahrtausenden Gegenstand von Diskussionen.

„Man kann argumentieren, dass Wagners Vorspiel zu 'Tristan und Isolde' unendlich subtiler und schöner ist als die Komposition eines Rockstars. Aber dieses Argument hat mehr damit zu tun, was Kunst ist und was nicht, als damit, was wir als schön empfinden“, sagt Zeki. Für die Neurobiologie sei es daher höchste Zeit gewesen, sich des Problems anzunehmen.

Gehirnaktivität als Maßstab für Schönheit
In ihrer Studie nutzten die Forscher die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI) um die Gehirnaktivität ihrer Probanden abzubilden. Wie erwartet „feuerte“ bei der Betrachtung jedes Bildes das Sehzentrum, beim Höhen von Musik das auditorische Zentrum des Gehirns. Der Orbitofrontale Kortex reagierte dagegen auf beide Arten von Sinneseindrücken. Er war umso aktiver, je schöner die Probanden ein Bild oder Musikstück fanden.

Beim Empfinden visueller Schönheit reagierte noch ein weiteres Hirnzentrum: Auch die Aktivität des Nukleus Caudatus, tief im Zentrum des Gehirns gelegen, nahm proportional zur gefühlten Schönheit zu. Er gilt auch als Sitz der romantischen Liebe. Nach Ansicht der Forscher könnte dies auf eine neuronale Verbindung zwischen Liebe und Schönheit hindeuten. Möglicherweise verbirgt sich hier die Erklärung dafür, dass uns ein geliebter Mensch meist als schön erscheint.

Gehirnbasierte Definition der Schönheit
 Ausgehend von diesen Beobachtungen postulieren die Wissenschaftler eine gehirnbasierte Definition der Schönheit: „Wir sind der Ansicht, dass Werke, die einem Subjekt als schön erscheinen, ein einziges, neuronales Merkmal gemeinsam haben: Es besteht darin, dass sich bei ihrer Betrachtung die Aktivität im mittleren Orbitofrontalen Kortex ändert. Unsere Definition unterscheidet damit nicht nur scharf zwischen künstlerischem und ästhetischem Wert, sie ist auch indifferent gegenüber der Frage, was Kunst ist und was nicht“, schließen die Forscher ihren Artikel.

Quelle: PloS ONE, 2011; DOI: 10.1371/journal.pone.0021852
Bildquelle: pixabay