Kreativität und Psychosen haben eine gemeinsame genetische Grundlage.
Bestimmte erbliche Faktoren begünstigen künstlerische Fähigkeiten, erhöhen aber auch das Risiko für Schizophrenie und bipolare Störungen! Dieselben genetischen Merkmale, die mit einem erhöhten Risiko für Psychosen verbunden sind, finden sich auch besonders häufig bei künstlerisch tätigen Menschen. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam unter Leitung isländischer Genetiker. Die umfangreichen Erbgutanalysen bestätigen einen schon länger bekannten Zusammenhang zwischen Kreativität und psychischen Störungen und führen ihn auf genetische Ursachen zurück. Demnach würden die von der Norm abweichenden Hirnprozesse, die im Extremfall eine schizophrene Psychose oder bipolare Störung erzeugen, auch kreative Kräfte unterstützen. Obwohl die genetischen Merkmale für das betroffene Individuum oft nachteilig sind, blieben sie möglicherweise deshalb im menschlichen Erbgut erhalten, weil sie sich für die Gesellschaft insgesamt positiv auswirken, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature Neuroscience”.
Wenn man kreativ ist, denkt man anders als die Masse!
„Die Ergebnisse unserer Studie sind eigentlich nicht überraschend, denn um kreativ zu sein, muss man anders denken als die Masse. Und das tun auch Menschen, die wegen bestimmter genetischer Faktoren anfälliger für eine Schizophrenie sind“, sagt Kari Stefansson von der GenTech-Firma deCODE Genetics in Reykjavík. Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass Verwandte von Menschen mit einer schizophrenen oder affektiven Psychose überdurchschnittlich oft künstlerische Berufe ergreifen. Unklar blieb, ob dieser Zusammenhang genetisch bedingt ist oder auf gemeinsamen Umwelteinflüssen beruht. Stefansson und seine Kollegen ermittelten zunächst durch vergleichende Genomanalysen von mehr als 150.000 Menschen DNA-Abschnitte im Erbgut, die bei Patienten mit Psychosen häufiger auftreten als bei Gesunden.
Dann identifizierten sie Träger dieser genetischen Merkmale in einer Gruppe von 86.300 Isländern. Für diese lag die Wahrscheinlichkeit, an Schizophrenie zu erkranken, mehr als doppelt so hoch wie bei den anderen und sie hatten ein deutlich erhöhtes Risiko für eine bipolare Störung. Schließlich suchten die Forscher nach denselben DNA-Abschnitten im Genom von etwa tausend Mitgliedern isländischer künstlerischer Vereinigungen, darunter bildende Künstler, Schauspieler, Tänzer, Musiker und Schriftsteller. Bei diesen Menschen fanden sich die Merkmale mit 17 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit als bei Menschen mit nicht kreativen Berufen. Die Genetiker bestätigten ihre Resultate durch Daten von 8.900 schwedischen und 18.400 niederländischen Teilnehmern separater Studien. Die Genmerkmale traten bei Künstlern und anderen Menschen, deren hohe Kreativität per Test ermittelt worden war, um 25 Prozent häufiger auf als bei den anderen Testpersonen. Für den Zusammenhang spielten Unterschiede und Gemeinsamkeiten im IQ oder im Bildungsstand keine Rolle.
Die Studie liefere erstmals konkrete Hinweise darauf, dass es direkte genetische Einflüsse als Ursache von Kreativität gibt, so die Forscher. Weitere Untersuchungen müssten klären, wie diese erblichen Merkmale im Genom erhalten geblieben sind, obwohl sie auch das Risiko für psychische Störungen erhöhen.