Samstag, 9. Februar 2013

Wie Alkohol auf das menschliche Gehirn wirkt und abhängig macht

Körpereigene Drogen, Endorphine benebeln das Gehirn.
Alkohol im Gehirn
Die Vermutung wurde bestätigt: Nach dem Konsum von Alkohol schüttet das Gehirn Endorphine aus – Hormone, die glücklich machen. Bei Alkoholikern führt Alkohol zudem gleichzeitig zu einem starken Gefühl der Trunkenheit; ihr Gehirn hat offenbar gelernt, das Glücksgefühl mit den ethanolhaltigen Getränken zu verbinden. Wissenschaftler von der University of California in San Francisco konnten diesen Prozess nun erstmals direkt im menschlichen Gehirn nachweisen.

"Mehr als 30 Jahre lang haben wir darüber spekuliert, wie Alkohol auf das menschliche Gehirn wirkt, aber wir konnten es nicht belegen – bis jetzt", freut sich Jennifer Mitchell, eine der beteiligten Wissenschaftlerinnen, über die Ergebnisse. Die Medizinerin und ihr Team haben untersucht, wie das Gehirn von Alkoholikern und Nicht-Alkoholikern auf den Konsum des Genussmittels reagiert. Dazu verglichen sie die Wirkung einer Einheit Alkohol auf die Ausschüttung von Endorphinen im Gehirn von 13 starken Trinkern, die mehr als 10 Einheiten Alkohol pro Woche zu sich nahmen, und 12 Probanden mit maximal 7 Einheiten Alkohol pro Woche, die als Kontrollgruppe dienten. Eine Einheit Alkohol entsprach dabei beispielsweise 200 Millilitern Bier, 100 Millilitern Wein oder 20 Millilitern Schnaps beziehungsweise 0,1 Promille.

Der Test: Abhängig von Körpergewicht und Geschlecht bekamen die Versuchspersonen im Test zwischen 200 und etwa 500 Milliliter Ethanol, verdünnt mit Saft, zu trinken. Um die Hirn-Areale zu bestimmen, die auf den Genuss von Alkohol reagieren, nahm Mitchell das Gehirn der Probanden vor und nach dem Konsum mit einem Positronen-Emissions-Tomographen (PET) auf. Der Patient bekommt dabei ein leicht radioaktives Mittel gespritzt, dessen Zerfall es ermöglicht, bestimmte chemische Prozesse im Organismus (auch im Gehirn) nachzuweisen.

Zum besser lesen einfach Bild anklicken!
Ergebnis: Mitchell und ihre Kollegen konnten so erkennen, in welchen Gehirnregionen Endorphine produziert wurden: Bei allen Probanden führte der Alkoholkonsum zur Ausschüttung der körpereigenen Opiate im Nucleus accumbens, der zum Belohnungszentrum des Gehirns gehört, und im Orbitofrontalen Cortex, der unter anderem für die Verhaltenssteuerung und die Regulation emotionaler Prozesse zuständig ist. Ebenfalls gemein hatten alle Probanden, dass sie sich mit der steigenden Menge der Endorphine im Belohnungszentrum besser fühlten. „Das ist der erste direkte Beweis dafür, wie Alkohol den Menschen glücklich macht“, interpretiert Jennifer Mitchell dieses Ergebnis.

Zum besser lesen einfach Bild anklicken!
Ein Anstieg der Endorphinmenge im Orbitofrontalen Cortex dagegen führte dazu, dass sich die Probanden betrunken fühlten – allerdings nur die Alkoholiker. "Wir schließen daraus, dass sich durch die gleichzeitige Ausschüttung von Glückhormonen das Gehirn von starken Trinkern so verändert, dass die benebelnde Wirkung von Alkohol verstärkt als positiv empfunden wird. Das erklärt, wie Alkoholsucht entsteht", erklärt Mitchell.

Rezeptor für Glückshormone entdeckt
Neben dem Ort des Geschehens konnten die Wissenschaftler auch ausmachen, welcher Rezeptor für Wirkung der Glückshormone verantwortlich ist: der Opioidrezeptor µ, der unter anderem auch die Schmerzlinderung durch Opiate und deren euphorisierende Wirkung vermittelt.

Der amerikanische Studienleiter Howard Field sieht in dieser Erkenntnis einen wichtigen Schritt, um eine effektivere Behandlung von Alkoholsucht entwickeln zu können. Zur Entgiftung wird derzeit oft der Wirkstoff Naltrexon angewendet. „Dieses Mittel ist aber nicht umfassend akzeptiert. Nicht, weil es nicht wirkt, sondern weil viele Patienten es aufgrund starker Nebenwirkungen wieder absetzen“, erklärt Field. Außerdem blockiere Naltrexon gleich mehrere Rezeptoren.
Fazit: Da nun klar sei, dass der µ-Rezeptor verantwortlich für den Alkoholrausch sei, könne jetzt auch nach Mitteln geforscht werden, die lediglich diesen Rezeptor an der Arbeit hindern und die damit auch weniger Nebenwirkungen haben.
Quelle: Jennifer Mitchell (University of California, San Francisco) et al: Science Translational Medicine, doi: 10.1126/scitranslmed.3002902
Link: http://stm.sciencemag.org/content/4/116/116ra6