Nun dürfen todkranke Krebspatienten wirklich hoffen: Eine neue Art von Therapie könnte sie heilen oder ihre Tumore zumindest radikal verkleinern. In vier Studien, die in den letzten Tagen in den USA vorgestellt wurden, haben Ärzte nachgewiesen, dass die sogenannte Immuntherapie bei bestimmten Krebsarten hocheffektiv ist - und auch bei vielen anderen Tumoren wirksam sein könnte. Die Forscher sind begeistert: "Spektakulär" seien die bisherigen Ergebnisse, heißt es. Es handle sich um die größte Revolution seit der Chemotherapie. Schon in wenigen Jahren könnte die Immuntherapie Standard sein.
Wir stehen vor einer neuen Ära bei der Bekämpfung von Krebs.
Mit derartigen Superlativen lässt die sonst eher zurückhaltende Forschergemeinde aufhorchen. Der Enthusiasmus scheint angebracht: Bei der derzeit stattfindenden jährlichen Krebsforschungskonferenz der American Society of Clinical Oncology in Chicago wurden gleich mehrere Studien vorgestellt, die die Wirksamkeit der Immuntherapie belegen.
Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen könnte sie das Leben retten, so die berechtigte Hoffnung. Zudem könnte damit künftig zahlreichen Menschen die hochgiftige Chemotherapie erspart werden. Professor Roy Herbst, Chefonkologe des Yale Cancer Center der gleichnamigen renommierten US-Universität, etwa erklärte gegenüber dem "Telegraph", er sehe einen Paradigmenwechsel bei der Krebsbehandlung - die bisherigen Resultate seien "spektakulär". ...
Insbesondere, weil die Immuntherapie offenbar bei jenen Krebsarten am effektivsten ist, die derzeit am schwierigsten zu behandeln sind. Todkranken Patienten zu einem langen Leben zu verhelfen, ja sie sogar vollständig zu heilen, sei in Reichweite. Schon in wenigen Jahren könnte die Immuntherapie zum Standard werden, glauben Experten.
Die Methode ist besonders effektiv bei häufigen Krebsarten
Sie setzt darauf, das körpereigene Immunsystem quasi umzuerziehen, um Tumorzellen anzugreifen. Während sich Krebs sonst vor den Immunzellen verstecken kann, werden mit den neuen Medikamenten körpereigene "Bremsen" deaktiviert, was den Krebs für die eigenen Abwehrkräfte sichtbar und angreifbar macht. Einige der häufigsten und aggressivsten Krebsarten - in Lunge, Leber, Blase, Darm, Gebärmutter, Kopf, Hals und Haut - sind damit nach bisherigen Erkenntnissen besonders gut behandelbar.
Gleich vier neue Studien, die bei der Konferenz vorgestellt wurden, bringen deutliche Hinweise dafür. Eine britische Untersuchung mit 950 Patienten zeigte etwa, dass Hautkrebs im Endstadium bei 58 Prozent entweder - zum Teil drastisch - schrumpfte oder, in mehr als zehn Fällen, sogar komplett verschwand. Die Studienteilnehmer hätten mit der herkömmlichen Krebsbehandlung allesamt höchstens noch neun Monate zu leben gehabt. Dank der vor zwei Jahren begonnenen Immuntherapie aber hoffen die Ärzte, dass mindestens die Hälfte der Patienten auf lange Sicht krebsfrei leben könnte. Bei einer anderen Untersuchung zeigte sich, dass auch die Überlebenschance bei der häufigsten Lungenkrebsart mithilfe der Immuntherapie verdoppelt wird.
Die Kombination zweier Medikamente ist das Erfolgsrezept
Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kombination zweier Präparate: Ipilimumab und Nivolumab. Ersteres ist bereits in einigen Ländern zugelassen, das zweite ist in Europa ab dem Sommer erhältlich. Laut einer internationalen Untersuchung an 945 Personen führte die Kombination der Medikamente bei 58% der Patienten zu einer Verkleinerung der Tumore von mindestens einem Drittel innerhalb von durchschnittlich 11,5 Monaten. Das war dreimal effektiver als die alleinige Gabe von Ipilimumab. Noch sind allerdings einige wichtige Fragen ungeklärt. Zum Beispiel, warum viele Patienten so gut auf die Immuntherapie reagieren, andere dagegen überhaupt nicht. Zudem machen Nebenwirkungen wie Erschöpfung, Hautausschläge und Durchfall der Hälfte der Testpersonen zu schaffen - allerdings haben auch Chemotherapie und Bestrahlung teils schwere Nebenwirkungen.
Experten: "Ganz neue Ära für Krebsbehandlung"
Die vielleicht wichtigste Unklarheit aber ist, wie lange die mit Immuntherapie behandelten Patienten überleben. Im Moment könne man nur hoffen, dass die herausragenden Erfolge langfristig anhalten, so Experten. Zuversicht geben Patienten, die vor zehn Jahren die ersten Immuntherapie-Medikamente erhielten. Jene, bei denen die Behandlung anschlug, scheinen bis heute geheilt, erklärte Professor Peter Johnson von Cancer Research UK. Er ist daher höchst optimistisch: "Die wissenschaftlichen Belege, die sich aus den klinischen Studien abzeichnen, weisen darauf hin, dass wir am Beginn einer ganz neuen Ära für die Krebsbehandlung stehen." So sieht das auch der Koordinator des Comprehensive Cancer Center (CCC) im Wiener AKH, Professor Christoph Zielinski: "Die Immuntherapie wird die Landschaft der Krebstherapie völlig verändern."
Quelle: Div. Publikationen
1. Bericht Fachzeitschrift "Science Translational Medicine" (Link: http://stm.sciencemag.org/content/7/280/280sr1)
2. Die Fachzeitschrift "The Lancet Oncology" veröffentlichte jüngst Zwischenergebnisse einer Studie, denen zufolge rund 32 Prozent dieser Patienten auf das Mittel ansprachen (Link: http://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(15)70076-8/abstract)
3. Ein Studie von Forschern um Wolchok im "New England Journal of Medicine" zeigt, dass Ipilimumab plus Nivolumab – also CTLA4-Hemmer plus PD1-Hemmer – bei gut der Hälfte der Melanom-Patienten anschlug und die Tumorgröße um mindestens 80 Prozent reduzierte. (Link: http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1302369)