Samstag, 22. Oktober 2016

Gute Ratschläge aus der mentalen Tiefe - oder warum man auch einmal auf seinen Instinkt hören sollte

Teil 1
Unbewusste Wahrnehmung kann zuverlässiger sein als bewusstes Nachdenken
Sich auf seinen Instinkt zu verlassen und Entscheidungen schon nach einem einzigen Blick zu treffen, liefert manchmal bessere Ergebnisse als langes Nachdenken. Das ist das Fazit einer Studie britischer Psychologen. Verantwortlich dafür ist eine ausgeprägte Hierarchie der Vorgänge während der Wahrnehmung: Schon in den ersten Sekundenbruchteilen werden bestimmte Eigenschaften eines Objektes unbewusst registriert. In dem Moment jedoch, in dem das übergeordnete Bewusstsein übernimmt, werden diese durch Informationen mit einer höheren Priorität überschrieben – und das kann wiederum dazu führen, dass schnelle Entscheidungen zuverlässiger sind als wohlüberlegte Reaktionen.

In der Studie sollten zehn Freiwillige unter mehr als 650 gleichen Symbolen auf einem Bildschirm das eine lokalisieren, dessen Ausrichtung etwas verdreht war. Dazu erfassten die Psychologen den Moment, in dem der Blick der Probanden auf das veränderte Symbol fiel und schalteten das Bild dann entweder sofort oder nach einer kurzen Verzögerung ab. Anschließend sollten die Testteilnehmer angeben, auf welcher Seite sie das ungewöhnliche Symbol gesehen hatten. Das Ergebnis: Wenn keine Zeit zwischen Wahrnehmung und Abschalten vergangen war, lagen die Probanden in 95 Prozent der Fälle richtig. Durften sie dagegen das Bild eine Sekunde lang betrachten, trafen sie die richtige Seite nur in 70 Prozent der Fälle. Dieser Wert verbesserte sich erst wieder, wenn die Testteilnehmer mehr als vier Sekunden Zeit hatten. ... 

Zuerst nimmt das Gehirn auf einer unbewussten Ebene ganz grundlegende Eigenschaften des Gesehenen wahr, wie beispielsweise die Farbe oder die Orientierung eines Gegenstandes, erklären die Forscher. Dann greift das Bewusstsein ein und setzt die Merkmale zu vollständigen Objekten zusammen. Dabei überschreibt es aufgrund seiner höheren Position in der Hierarchie manchmal das zuvor Wahrgenommene, selbst wenn es korrekt ist. So wird in dem Moment, in dem das Gehirn den Gegenstand etwa als Apfel erkennt, die Identität des Objektes zum wichtigsten Merkmal und verdrängt die zuvor herausstechende Eigenschaft.

Bei einem verdrehten Kreuz inmitten einer ganzen Reihe von Kreuzen wird also im ersten Moment die Andersartigkeit wahrgenommen. Im zweiten Schritt realisiert das Gehirn jedoch, dass das verdrehte Objekt auch ein Kreuz ist und damit den anderen gleicht – der Unterschied tritt in den Hintergrund und ist für den Betrachter schwerer zu erfassen. Man könne allerdings lernen, diesen Effekt zu vermeiden, erklären die Psychologen, etwa indem man nicht direkt die interessierende Stelle fokussiere. Viele Maler kennen ebenfalls eine Strategie gegen das Phänomen: Wenn sie ein Gesicht malen, drehen sie häufig die Abbildung um. Dadurch wird die übergeordnete bewusste Gesichtserkennung ausgeschaltet, und sie können sich auf die Details wie Linien und Farben konzentrieren, ohne vom Bewusstsein gestört zu werden.
Quelle: Li Zhaoping und Nathalie Guyader (University College, London): Current Biology, Bd.17,S.26
LINK: http://www.cell.com/current-biology/abstract/S0960-9822(06)02425-0
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Teil 2 
Gute Ratschläge aus der Tiefe - Unbewusste Entscheidungen sind in komplexen Situationen oft besser 
Bei einer komplexen Entscheidung wie dem Autokauf hilft kurzzeitige Ablenkung, die richtige Wahl zu treffen. Zu diesem Ergebnis kommen niederländische Psychologen in mehreren Studien. Ist ein Käufer zerstreut, so konzentriert er sich nicht mehr bewusst auf das Für und Wider eines Produkts, sondern delegiert die Entscheidung ins Unbewusste. Dieses könne die Vielzahl der Informationen in komplexen Situationen besser berücksichtigen, glauben die Wissenschaftler. Bewusstes Abwägen dagegen sei bei einfachen Dingen wie der Wahl eines Shampoos die bessere Strategie.

Für ihre Studie simulierten die Wissenschaftler um Ap Dijksterhuis von der Universität von Amsterdam zunächst mit freiwilligen Probanden einen Autokauf. Zuerst erhielten die Versuchsteilnehmer Informationen über vier hypothetische Fahrzeuge unterschiedlicher Qualität. Manche bekamen viele Fakten, andere dagegen wussten nur über wenige Merkmale Bescheid. Vor der Entscheidung konnten sich einige Probanden vier Minuten intensiv mit den Vor- und Nachteilen auseinandersetzen, während andere Buchstabenspiele lösen mussten.

Das Ergebnis: Verfügten die Versuchsteilnehmer nur über wenig Informationen, so wählten die aufmerksamen Denker das beste Produkt. Das umgekehrte Resultat zeigte sich bei der komplexen Entscheidung: Hier suchten sich die abgelenkten Käufer unbewusst das beste Auto aus.

Für einen zweiten Test untersuchten die Wissenschaftler das reale Einkaufsverhalten, indem sie Studenten einen Fragebogen ausfüllen ließen und zum anderen Verbraucher an den Ausgängen von Kaufhäusern direkt befragten. Hier bestätigte sich: Käufer, die zuvor nicht länger über ihre Entscheidung gegrübelt hatten, waren mit komplexen Produkten wie Kameras oder Möbelstücken zufriedener als intensive Denker. Menschen, die bewusst nachgedacht hatten, zeigten sich dagegen bei einfachen Waren wie Shampoos befriedigter.

Denken Menschen bewusst über schwierige Entscheidungen nach, so können sie
nicht alle Fakten gleichzeitig berücksichtigen oder sie gewichten die Informationen falsch, erklären Dijksterhuis und seine Kollegen. Das Unbewusste hingegen könne viel mehr Details gleichzeitig aufnehmen und daher in komplexen Situationen den besseren Überblick behalten. 
Quelle: Ap Dijksterhuis (Universität von Amsterdam) et al.: Science, Bd.311, S.1005