Arbeitgeber (Unternehmen) können Kopftuch im Job unter bestimmten Umständen verbieten. Für ein Verbot muss es in der Firma aber eine allgemeine, diskriminierungsfreie Regel geben.
Arbeitgeber dürfen muslimische Kopftücher und andere religiöse oder politische Zeichen grundsätzlich verbieten. Es muss dafür aber eine allgemeine Regel geben, die das Unternehmen neutral und diskriminierungsfrei durchsetzt, wie am Dienstag (14. 03.2017) der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschied. Wünsche einiger Kunden reichen dagegen nicht aus.
Konkret urteilte der EuGH zu einer Rezeptionistin aus Belgien und einer Projektingenieurin eines IT-Beratungsunternehmens in Frankreich. In dem belgischen Unternehmen gab es eine zunächst ungeschriebene Regel und später auch eine entsprechende Betriebsvereinbarung, wonach die Arbeitnehmer keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugung tragen sollen. Im Fall der IT-Beraterin hatten sich Kunden beschwert. Beide Frauen wurden entlassen, weil sie auch im Kundenkontakt ihr Kopftuch tragen wollten. ...
Der EuGH betonte nun, dass EU-Recht auch am Arbeitsplatz eine Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung verbietet. Eine neutrale Regelung, die „das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens“ verbietet, verstoße dagegen aber nicht. Allerdings muss der Arbeitgeber diese dann auch schlüssig und diskriminierungsfrei anwenden.
Weltanschaulich neutrales Auftreten kann verlangt werden!
Im Einzelfall könne eine Rechtfertigung notwendig sein
Allerdings verbiete EU-Recht nicht nur direkte, sondern auch „mittelbare“ Diskriminierungen. Daher könne im Einzelfall eine Rechtfertigung notwendig sein, wenn das Verbot eine bestimmte Gruppe besonders stark trifft. Generell zulässig sei aber auch dann ein Verbot für Mitarbeiter im Kundenkontakt. Denn der Wunsch des Arbeitgebers, den Kunden gegenüber weltanschaulich neutral aufzutreten, gehöre zur unternehmerischen Freiheit.
Eine faktische Ungleichbehandlung verschiedener Anschauungen und Religionen ist laut EuGH zudem auch dann zulässig, wenn sich dies aus der Art der Tätigkeit ergibt, etwa aus Gründen der Hygiene oder der Sicherheit. Kundenwünsche, etwa auch nach Mitarbeiterinnen ohne Kopftuch, reichen ohne neutrale Regelung allerdings nicht aus.
Bei der französischen Projektingenieurin ging die Kündigung auf einen Kundenwunsch zurück, der nicht von einer Ingenieurin mit islamischen Kopftuch beraten werden wollte. In diesem Fall entschied der EuGH, dass der Wunsch eines Kunden nicht als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ gesehen werden könne. Die Generalanwältin Eleanor Sharpston hielt die Kündigung für eine „unmittelbare Diskriminierung“. Sie argumentierte, ein Projektingenieur, der seine Religion oder Weltanschauung nicht bekannt hätte, wäre nicht entlassen worden. Über die konkreten Fälle müssen nach diesem Grundsatzurteil des EuGH nun die Gerichte in Belgien und Frankreich abschließend entscheiden.
Reaktionen: Kritik, aber auch Unterstützung für das Urteil
Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber, begrüßte das Urteil. In Europa gälten die Werte Europas, so Weber. „Deshalb ist es richtig, dass Arbeitgeber das Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz unter bestimmten Umständen untersagen können“, so der CSU-Politiker.
Kritik kam aber von der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Christine Lüders erklärte, die Urteile gäben Arbeitgebern nun die Möglichkeit, religiöse und weltanschauliche, philosophische Symbole für alle Beschäftigten gleichermaßen zu verbieten. Zwar habe der EUGH auch klargestellt, dass diskriminierende Kundenwünsche nicht zur Grundlage für etwaige Kopftuchverbote gemacht werden dürften. „Dennoch kann es für muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, in Zukunft noch schwerer werden, in den Arbeitsmarkt zu kommen“, so Lüders.
Die Arbeitsrechts-Anwältin Doris-Maria Schuster hatte schon im Vorfeld die Relevanz des Urteils für Deutschland betont. „Am Ende des Tages wird die Entscheidung des EuGH dann auch für die deutschen Gerichte bei der Anwendung der deutschen Antidiskriminierungsvorschriften bindend werden“, sagte Schuster. Die Gefahr, dass deutsche Unternehmen nach dem Urteil generell religiöse Symbole verbieten könnten, um unmittelbaren Diskriminierungen vorzubeugen, sieht Schuster allerdings nicht. Generelle Verbote religiöser Zeichen müssten ein „erforderliches Mittel“ darstellen, um ein rechtmäßiges Ziel zu erreichen, so die Arbeitsrechtlerin. Dies gelte weiterhin. Gebe es etwa keinen Kundenkontakt, könne es schwierig werden, ein solches generelles Verbot zu rechtfertigen.
Bisherige Entscheidungen zu Kopftüchern
In Deutschland ist die Religionsfreiheit ein Grundrecht (auch in Österreich gelten ähnliche Gesetze). Arbeitgeber können muslimischen Arbeitnehmerinnen im Allgemeinen nicht verbieten, während der Arbeit aus Glaubensgründen ein Kopftuch zu tragen. Zwar können sie im Rahmen ihres Direktions- und Weisungsrechts Bekleidungsregeln für die Beschäftigten aufstellen. Diese müssen aber angemessen und für die Arbeitnehmer zumutbar sein, die Glaubensfreiheit muss ausreichend berücksichtigt werden. So entschied das Bundesarbeitsgericht 2002, einer Kaufhausverkäuferin habe wegen Tragens eines islamischen Kopftuchs nicht gekündigt werden dürfen.
Kirchliche Arbeitgeber
Das Bundesarbeitsgericht urteilte 2014 aber auch, dass kirchliche Arbeitgeber das Tragen des muslimischen Kopftuchs im Dienst in der Regel verbieten dürfen.
2015 schränkte das Bundesverfassungsgericht ein bis dahin in einigen Bundesländern geltendes pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte ein. Es ist nach Ansicht der Verfassungsrichter nur dann gerechtfertigt, wenn durch das Tragen eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht.
Karlsruhe bekräftigten 2016 in einem Fall um eine muslimische Erzieherin aus Baden-Württemberg, es gebe keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, „von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben“.
Hinweis: Das Urteil des EuGH hat auch Folgen für die Rechtsprechung im Deutschland, denn der Europäische Gerichtshof gibt den nationalen Gerichten die Richtung vor. Wenn sich also künftig in einem EU-Land die gleichen Fragen stellen, müssen sich die Richter an den EuGH-Entscheidungen zum Diskriminierungsverbot orientieren aber die nationalen Gerichte der EU-Mitglieder müssen auch die EuGH-Entscheidung berücksichtigen dass ein Arbeitgeber (Unternehmen) auch das Tragen eines Kopftuch im Job unter bestimmten Umständen (siehe oben) verbieten kann.
Info-Quelle: dpa/AFP/coh/welt.de/ORF-ZIB
Bildquelle: ORF/ZIB
Link: http://orf.at/stories/2383250/
________________________________
Update
Türkei - Erdogan wütet nach Kopftuch-Urteil gegen Europa: „Kreuzzug gegen den Halbmond!“ Nach dem Kopftuch-Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Europa einen "Kreuzzug" gegen den Islam vorgeworfen.
Bei einer Wahlkampfrede im türkischen Sakarya sagte der Staatschef: "Der Europäische Gerichtshof, meine verehrten Brüder, hat einen Kreuzzug gegen den Halbmond gestartet."
"Abkehr von verbrieften Freiheitsrechten"
Auch bei muslimischen Verbänden war das Urteil auf Ablehnung gestoßen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte es als "Abkehr von verbrieften Freiheitsrechten". Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes warnte, das Urteil könne es für muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, in Zukunft noch schwerer machen, in den Arbeitsmarkt zu kommen.
Hintergrund: Am Dienstag hatte der EuGH entschieden, dass es Arbeitgebern erlaubt ist, religiöse Symbole wie das Kopftuch am Arbeitsplatz zu verbieten. Geklagt hatten zwei muslimische Frauen aus Belgien und Frankreich, die wegen des Tragens des Kopftuchs entlassen worden waren (siehe Bericht oben).
Update-Quelle: Focus-de
Direktlink (Video): Zum Beitrag