Normalerweise sind die Aufgaben im menschlichen Gehirn klar verteilt. Forscher des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung hat nun bei der Untersuchung einer Patientin, bei der sich aufgrund einer Entwicklungsstörung im Mutterleib die rechte Großhirnhälfte nicht ausgebildet hatte, festgestellt, dass das menschliche Gehirn jedoch das Fehlen einer ganzen Hirnhälfte teilweise ausgleichen kann.
Trotz der fehlenden Hälfte besitzt die Patientin ein fast normales Sehvermögen.
A+C zeigt die fehlende rechte Hirnhälfte (dunkel) |
Wie in einer Kamera erzeugt die Linse des Auges ein umgekehrtes Bild auf der Netzhaut: Die optischen Signale werden in der Netzhaut der Augen in elektrische Signale umgewandelt und über den Sehnerv bis in die Großhirnrinde geleitet. Normalerweise werden diese dann am Kreuzungspunkt der beiden Sehnerven auf die beiden Hälften der Großhirnrinde aufgeteilt. Dabei erhält die linke Hälfte ausschließlich Informationen aus dem rechten Gesichtsfeld, die rechte Hirnhälfte nur Informationen aus dem linken Gesichtsfeld.
Die Wissenschaftler haben nun herausgefunden, wie das Gehirn auf den Verlust einer der beiden Großhirnhälften reagiert und festgestellt, dass in diesem Fall die linke Hälfte Signale aus dem gesamten Blickfeld empfängt. Mithilfe der funktionellen Kernspintomografie (fMRI/fMRT) konnten die Forscher beobachten, dass ein Schachbrettmuster, das der Patientin gezeigt wurde, Nervenzellen der verbleibenden linken Großhirnrinde auch dann aktiv werden ließ, wenn es sich auf der linken Seite des Blickfeldes befand. Bei Menschen mit normaler Gehirnentwicklung reagierten die Zellen ausschließlich auf das Muster auf der rechten Seite, erläutert die Pressemiteilung der Max-Planck-Gesellschaft (mpg.de).
"Die Entdeckung hilft den Forschern auch bei der Frage, wie sicher gestellt wird, dass die Sehreize in die richtige Großhirnhälfte gelangen. Denn dazu müssen die Fortsätze von Nervenzellen aus den Augen entlang festgelegter Bahnen wachsen, um Verbindungen zur linken oder rechten Großhirnrinde zu knüpfen. Die Fortsätze orientieren sich mithilfe von Botenstoffen, die sie an die Oberfläche von Neuronen 'andocken' können."
Ähnlich wie Vorfahrt- und Stoppschilder lenken sie die Fortsätze in die richtige Richtung. Manche Nervenzellen werden von den Botenstoffen in die linke, andere in die rechte Hälfte geleitet. Wenn eine der beiden Hälften nicht vorhanden ist, werden die Zellen nicht mehr dorthin "gelockt", sondern nehmen den anderen Weg. "Während der frühen Gehirnentwicklung im Embryo gibt es im Sehnerv offenbar keine Botenstoffe, die als Stoppschilder fungieren und die Nervenzellen daran hindern, in die Hirnhälfte auf der gleichen Seite einzuwachsen", erklärt Wolf Singer.
Die Neurobiologen vermuten, dass die Entwicklungsstörung bei der untersuchten Patientin etwa einen Monat nach der Befruchtung im Mutterleib auftrat. Aus bislang unbekannter Ursache hat sich die rechte Hälfte der Großhirnrinde nicht entwickelt. "Zu so einem frühen Zeitpunkt während der Entwicklung kann sich das Gehirn neu organisieren und so selbst auf massive Störungen reagieren. Im Laufe des Lebens nimmt diese Fähigkeit zwar immer mehr ab, aber selbst im Erwachsenenalter kann es Schäden und Verletzungen oft zumindest abmildern, wie wir zum Beispiel von Schlaganfall-Patienten wissen", erklärt der Wissenschaftler.
Quelle: Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS)
LINK: http://www.pnas.org/content/106/31/13034.full
und das PDF dazu: http://www.pnas.org/content/106/31/13034.full.pdf+html (6 Seiten)
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Siehe dazu auch: http://eggetsberger-info.blogspot.co.at/2011/12/madchen-fehlt-gehirnhalfte-sieht-aber.html