Wer zum Autismus neigt, findet die Existenz Gottes oder einer universellen Intelligentz weniger plausibel. Dabei sind Frauen laut Statistiken religiöser als Männer - und Letztere häufiger (!) autistisch.
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Religiös: Mehr Frauen als Männer? |
Wer selbst nicht an Gott oder an eine Allmacht glaubt, aber keinerlei Lust verspürt, die Gläubigen von ihrer Weltsicht abzubringen, braucht sehr oft eine Kompromissformel. Man ordnet das Nicht-Glauben-können in die Kategorie "fehlende Gabe" ein - und sagt, es sei wie bei der bildenden Kunst- beim Malen. Die Fähigkeit habe man oder nicht, Begabungen könne man sich eben nicht wünschen
(was nicht ganz richtig ist). Nebenbei ist das -nicht an eine höhere Instanz glauben- ebenso ein Glaube. Nämlich der Glaube, dass es nichts gibt. Auch dieser Glaube basiert nicht auf Wissen.
Hintergründe: Neuere Studien zeigen, dass Religiosität und vor allem Spiritualität durchaus organische Ursachen haben könnten.
Menschen, die Gefühle, Bedürfnisse und Ideen anderer gut nachvollziehen können
(wenn beim Betreffenden die Spiegelneuronen ausreichend aktiv sind), sind Statistiken zufolge auch eher dazu bereit, an die Existenz eines Gottes zu glauben. Vermutlich deshalb, weil sie das Gleiche von "Gott" oder einer universellen Intelligenz erwarten. Die Fähigkeit, in einer anderen Person ähnliche Gedanken zu vermuten wie die eigenen, nennen deutschsprachige Psychologen "
Mentalisierung". Die Angelsachsen haben wie meist den knackigeren Fachbegriff dafür: "
theory of mind". Der kanadische
Psychologe Ara Norenzayan hat nun den üblichen Zusammenhang umgedreht und gefragt: Macht eine schwach ausgeprägte "
theory of mind" ungläubig? Um das herauszufinden, hat Norenzayan einige Befragungen an US-Amerikanern und Kanadiern ausgewertet.
Das Ergebnis: Menschen, die auf der Autismus-Skala hohe Werte erreichen, sind offenbar häufig religiös unbegabt, sprich: Agnostiker oder Atheisten. Die Tendenz zum Autismus ist zwar nicht das Gleiche wie eine schwache "theory of mind"
(!), doch das eine hängt mit dem anderen scheinbar zusammen, sagt Norenzayan. "Gläubige stellen sich Gott in der Regel als personifiziertes Wesen vor, das auf Bedürfnisse und Handlungen der Menschen reagiert
(nur wenige stellen sich den Allmächtigen als nicht personifizierte, alles umfassende universelle Intelligenz vor). Wer Schwächen bei der Mentalisierung hat, empfindet diesen Gedanken an eine höhere Macht weniger plausibel."
Die Tendenz zum Autismus ist, wie Untersuchungen zeigen, bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Beim Glauben verhält es sich umgekehrt, das ist kein Zufall.
(Einige Forschungen scheinen ein stetiges Anwachsen der Autismuserkrankten in der heutigen Gesellschaft zu belegen.)
Zitat Norenzayan: "Unsere Studie erklärt, warum Männer weniger religiös sind als Frauen." Im Kleingedruckten der Studie folgt allerdings die Relativierung. Die alleinige Ursache für den religiösen "
gender gap" sei das freilich nicht, aber immerhin eine von mehreren.
Länger leben - Spiritualität und Religion
Laut
Harold G. Koenig könnte die Glaubensfrage auch handfeste medizinische Konsequenzen haben. Der US-Psychiater hat vor ein paar Jahren die Gesundheitsdaten von 4.000 Senioren aus North Carolina analysiert und
bei Gläubigen deutlich niedrigere Sterberaten festgestellt. Umfragen zufolge sind spirituelle Menschen mit ihrem Leben zufriedener als ungläubige.
Hinweis: Religiosität ist nicht zwangsläufig mit Unglauben oder Glauben verbunden. Viele Menschen bezeichnen sich als wenig religiös aber doch stark spirituell.
Auch der Hinweis das Autismus Atheisten eine schwach ausgeprägte "Mentalisierung" besitzen ist noch nicht endgültig bewiesen. In vielen Fragen des Autismus steht die heutige Forschung nach ganz am Anfang. Gleichzeitig sollte man Ungläubige natürlich nicht als Autisten brandmarken oder umgekehrt. Die Glaubensfreiheit gilt als ein wichtiger Teilbereich der Menschenrechte. Diese erlaubt jeden Menschen, seinen eigenen Glauben, seine eigene Religion und natürlich auch die Möglichkeit an NICHTS zu glauben wie z. B. bekennende Agnostiker oder Atheisten.
Eines steht aber schon jetzt fest: Religion, Spiritualität, Atheismus und die damit verbundenen emotionalen Reaktionen lassen viele nicht ruhig. Die Atheisten wollen oft die Religiösen vehement bekehren und die Religiösen die Nichtreligiösen und dies nicht selten mit Aggression im Hintergrund. Glaubensfragen lassen nur wenige ganz kalt. Dabei hätten es gerade die Atheisten leicht, wenn es nichts gibt, dann ist das Thema ja erledigt.
Quellen: "Mentalizing Deficits Constrain Belief in a Personal God", PLoS ONE (doi: 10.1371/journal.pone.0036880),
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und
"Does Religious Attendance Prolong Survival? A Six-Year Follow-Up Study of 3,968 Older Adults", The Journals of Gerontology: Series A (doi: 10.1093/gerona/54.7.M370),
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