Der Tod hat direkt mit einer elektrische Stille (elektrozerebrale Stille) in den Nervenzellen zu tun. Wo es elektrische Potenziale im Gehirn gibt, ist Bewusstsein. Verschwinden diese komplett, tritt das ein, was wir als Tod bezeichnen.
Bleibt der Sauerstoffnachschub etwa aufgrund des bei einem Herzstillstand zum Erliegen kommenden Blutkreislaufs aus, so kommt es innerhalb von etwa zehn Minuten zu umfangreichen und unwiderruflichen Schäden, die sich vergleichbar mit einer Welle, einem "Tsunami", im Hirn ausbreiten und führen
(so sie nicht gestoppt werden können) zum Tod.
Bislang konnten diese Vorgänge nur an Tieren untersucht und beobachtet werden. Weshalb es nur bedingt aussagekräftige Messungen der elektrischen Hirnaktivität und sehr widersprüchliche Auffassungen in Hinblick auf die Übertragbarkeit der Tierversuchsergebnisse gab.
Neurologen haben die ablaufenden Prozesse jetzt erstmals am Menschen untersucht. Die Ergebnisse könnten Ansatzpunkte für Behandlungsstrategien bei Herzkreislaufstillstand und Schlaganfall liefern.
Wie das Team um Prof. Dr. Jens Dreier von der Charité – Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit Kollegen der University of Cincinnati aktuell im Fachjournal “Annals of Neurology” berichten, werden die Prozesse, die bei Sauerstoffentzug zu Schädigungen des Hirns führen, bei Tieren seit Jahrzehnten untersucht: “
Innerhalb von 20 bis 40 Sekunden stellt das Hirn in einer Art Energiesparmodus seine elektrische Aktivität ein,
die Kommunikation der Nervenzellen stoppt vollständig. Minuten später, wenn die Energiereserven aufgebraucht sind, bricht das energiebedürftige Ionen- und Spannungsgefälle zwischen dem Inneren der Nervenzellen und ihrer Umgebung zusammen. Dies passiert in Form einer massiven elektrochemischen Entladungswelle, die als ‘
Spreading Depolarization’
(Depolarisationen) oder auch bildhaft als "Tsunami" bezeichnet wird. Diese Welle zieht durch die Hirnrinde und andere Hirnstrukturen und stößt dabei Schadenskaskaden an, die die Nervenzellen allmählich vergiften
(siehe auch Delpasse-Effekt).
Wichtig ist, dass die Welle bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch reversibel ist.
Das heißt, die Nervenzellen erholen sich vollständig, wenn die Durchblutung, Sauerstoffversorgung rechtzeitig wieder einsetzt. Überdauert die Durchblutungsstörung diesen Zeitpunkt jedoch, sterben die Zellen ab.”
Während es normalerweise die Aufgabe von Ärzten und Medizinern ist, den Tod zu verhindern und nicht, seinen Verlauf untätig zu beobachten, waren die neuen Untersuchungen in neun Fällen von Patienten möglich, die zuvor in ihrer Patientenverfügung sich gegen eine Reanimation ausgesprochen hatten.
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Bildquelle: Coburn C, Allman E, Mahanti P, Benedetto A, Cabreiro F, et al. / plosbiology.org, ucl.ac.uk |
Die Forscher um Professor David Gems vom Institute of Healthy Ageing am University College London (UCL) berichteten, wie der individuelle Zelltod eine chemische Kettenreaktion auslöse, die nach und nach zum Zusammenbruch von Zellkomponenten und der Ansammlung von molekularen Trümmern führe. Der molekulare Mechanismus dieses Vorgangs auf Zellebene sei zwar bereits relativ gut bekannt, doch wisse man noch kaum etwas darüber, wie sich der Tod am Ende des Lebens in einem Organismus ausbreitet.
In der vorliegenden aktuellen Beobachtungsstudie
(2018) wurden modernste Neuromonitoring-Verfahren eingesetzt und die wissenschaftliche Aufarbeitung der Krankheitsverläufe und Überwachungsdaten der Verstorbenen zeigte, dass es innerhalb von Minuten nach Kreislaufstillstand auch beim Menschen zur sogenannten “terminalen Spreading Depolarization” kommt.
Damit konnten die Wissenschaftler nun nachweisen, dass die “terminale Spreading Depolarization”, also der “Todestsunami” bei Mensch und Tier vergleichbar ist.
Die Annahme, dass gerade dies aber nicht der Fall ist, führte dazu, dass die Erforschung dieses Elementarprozesses der Schadenentstehung im zentralen Nervensystem jahrzehntelang vernachlässigt wurde. “Dies hatte vor allem methodische Gründe. Bisher besteht die Therapie bei Schlaganfall und Herzstillstand nur darin, den Blutkreislauf so rasch wie möglich wiederherzustellen.
(…)
Das Wissen um die ‘
Spreading Depolarization’ ist aber eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung ergänzender Behandlungsstrategien, die auf eine Verlängerung der Überlebenszeit von Nervenzellen während Durchblutungsstörungen des Hirns abzielen. Dies folgt ganz allgemein aus dem Grundsatz Max Plancks, dass dem Anwenden das Erkennen vorausgehen muss. Und auf diese Weise können unsere Erkenntnisse Hoffnung für die Zukunft geben.”
Deutung
Diese Ergebnisse liefern grundlegende Einblicke in die
Neurobiologie des Sterbens und haben wichtige Auswirkungen auf überlebende zerebrale ischämische Insulte.
Ann Neurol 2018; 83: 295-310
Quellen ©: Fachjournal “Annals of Neurology” (DOI: 10.1002/ana.25147), University of Cincinnati, u.a.
Quelle Anm.: IPN-Forschung/UNIQ-Team
Bildquellen ©: Dreier et al. / Annals of Neurology, 2018 / Hintergrundbild: pixabay und Coburn C, Allman E, Mahanti P, Benedetto A, Cabreiro F, et al. / plosbiology.org, ucl.ac.uk
Link: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/ana.25147